WIE DER OCHS VORM WEINBERG

WIE DER OCHS VORM WEINBERG

»Mineralisch« ist heutzutage genauso viel wert wie der Zimbabwe-Dollar. Etlichen Begriffen aus der Weinsprache ist es schon so ergangen. Der Kommerz beutet ihre Einzigartigkeit effizient aus

In einer doch recht kleinen Weinwelt wird zuweilen eine Sprache gesprochen, die den interessierten Zechern einige knifflige Rätsel aufgibt. Etliche unter diesen Zechern haben sich schon einmal mit gutem Willen an einen Wein-Text gewagt und früher oder später entnervt zur Seite gelegt, weil ihm selbst mit großzügig ausgelegter Semantik nicht beizukommen war. Wie der sprichwörtliche Ochs fand man sich vorm Weinberg wieder. Tatsächlich erschließt sich die Sprache über Wein oft nur denjenigen, die sich auch regelmäßig mit ihm beschäftigen. Nun mag das bei Special-Interest-Themen gar nichts Besonderes sein.

Beim Wein aber kommt erschwerend hinzu, dass einige Begriffe, die dem Leser eine bestimmte Qualität oder Güte signalisieren, in der kundigen Weinwelt längst keinen Pfifferling mehr wert sind, sich dort mitunter bereits in ihre Gegenteile verwandelt haben. Wo sie eine rare Delikatesse nicht mehr auf den Punkt bringen können, haben einst exklusive Definitionen vor dem Gemeinplatz der Beliebigkeit kapituliert. Wäre man in der Vergangenheit etwa mit dem Begriff »mineralisch«, ja, nennen wir es ruhig: verantwortlicher umgegangen, wäre er heute womöglich weitaus weniger umstritten, sein Ruf aber zweifellos nicht so schwammig und unbestimmt.

Unser Zecher wäre von dem Geschwurbel ganz sicher verschont und glücklich geblieben, weil es ihm stets allein um ein schmackhaftes Glas Wein ging. Doch es kam alles anders: Eines Tages erklärte man ihm allen Ernstes, dass sein treuer Schoppen (den er seit vielen Jahren in stets tadelloser Qualität und für kleines Geld erstand) neuerdings auch einen mineralischen Geschmack aufweise.

Exklusive Definitionen haben vor dem Gemeinplatz der Beliebigkeit kapituliert

Unser Zecher wäre von dem Geschwurbel ganz sicher verschont und glücklich geblieben, weil es ihm stets allein um ein schmackhaftes Glas Wein ging.

Sein Schoppen weist neuerdings auch einen mineralischen Geschmack auf

Welche Erkenntnisse er aus seinen Recherchen gewonnen, welche Konsequenzen er aus diesem Martyrium gezogen hat?

Von menschlicher Neugier getrieben, um seine Geschmackslücke zu schließen, wird er sich sowohl an geeigneten als auch ungeeigneten Orten kundig gemacht haben. Welche Erkenntnisse er aus seinen Recherchen gewonnen, welche Konsequenzen er aus diesem Martyrium gezogen hat, können wir nur leidlich erahnen. Denn »mineralisch« ist heutzutage genauso viel wert wie der Zimbabwe-Dollar. Etlichen Begriffen aus der Weinsprache ist es schon so ergangen.

Der Kommerz beutet ihre Einzigartigkeit effizient aus. Wenn schließlich auch der allerletzte Funken Präzision als besondere Eigenschaft für einen Wein herhalten muss, dem in Wahrheit nichts fernerliegt, ist ein weiterer kostbarer Begriff endgültig verramscht worden. Nach seiner kommerziellen Aufbereitung vergewaltigen wir ihn im Kollektiv unserer Sprache, wo er uns sinnentleerte Bedeutung souffliert.

Dem individuellen Charakter auf die Spur kommen

Es hilft nichts: Wenn es darum geht, der einzigartigen Delikatesse eines Weins eine neue Sprache zu geben, weil die alte verraten und verkauft ist, sind wir alle gefordert.

Welche Hoffnung können wir unserem armen Zecher da noch machen? Vielleicht diese: Sich und die Welt, den eigenen Geschmack stets zu hinterfragen. Weniger altklug hört sich das an, wenn der weltoffene und kenntnisreiche Winzer und Weinblogger Dirk Würtz sagt: »Etwas nacheifern zu wollen oder gar zu kopieren, ist der falsche Weg. Es geht am Ende immer nur um ein gesundes Selbstbewusstsein: Ich bin, wer ich bin. Und ich bin nicht eine Kopie von irgendetwas.«

Es hilft nichts: Wenn es darum geht, der einzigartigen Delikatesse eines Weins eine neue Sprache zu geben, weil die alte verraten und verkauft ist, sind wir alle gefordert. Ein kreativer Akt tut not, bei dem wir uns von vielen Allgemeinplätzen zwangsläufig verabschieden müssen, wenn wir eben nicht der von Würtz angesprochenen Kopie hinterherhecheln, sondern einem individuellen Charakter auf die Spur kommen wollen. Wenn der uns nicht immer bequem vorkommt, sind wir auf dem richtigen Weg.

Titelbild © DWI

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