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ANTHROPOLOGEN DES RIESLINGS
Weil es um die Zukunft der Mosel geht, war der Blick der Loewens schon immer der Vergangenheit zugewandt
Das Schild mit den drei Initialen hängt da wie seither. Die Buchstaben »C.S.W.« stehen für die Familie Carl Schmidt-Wagner. 1896 pflanzte sie an dieser Stelle der Mittelmosel 10.000 wurzelechte Rieslinge je Hektar in den steilen Rotschiefer des Maximer Herrenberg und markierte ihren wertvollen Besitz mit einer Tafel, die in den letzten 120 Jahren sicherlich öfter erneuert werden musste als der Bestand der Reben. Denn fast ein Hektar dieser Anlage ist bis heute erhalten geblieben, ein kleinerer Teil auch bereits 100 Jahr alt. Aus beiden wird immer noch exzellenter Wein bereitet. So ist das Schild Vermächtnis der Gründerfamilie Schmidt-Wagner und zugleich Ausweis einer geschützten Weinkultur in der Gemeinde Longuich am Tor zur Mittelmosel. Ihr Beschützer heißt Karl Josef Loewen.
Sein Weingut befindet sich nur wenige Kilometer entfernt in Leiwen. Ein Örtchen zwischen Trier und Bernkastel mit knapp 1500 Einwohnern. Man kennt sich. Als sich 2007 für das Weingut Carl Schmidt-Wagner und die wurzelechten Reben kein Erbe fand, war Loewen nicht der einzige Anwärter. Den legendären und weltweit gesuchten Mosel-Rieslingen aus dieser Epoche war damals auch schon Roman Niewodniczanski vom Saar-Weingut Van Volxem auf der Spur. »Dass Roman am Ende kein Angebot abgab, als er von meinem Interesse erfuhr, rechne ich ihm noch heute hoch an«, erzählt Loewen. Erst neulich habe er ihm das wieder gesagt, und Niewodniczanski habe geantwortet, dass Loewen seitdem dort Großartiges geleistet habe. Die beiden sind Arche-Winzer und von der Gewissheit beseelt, dass die Rieslinge von Mosel, Saar und Ruwer wieder jene Anerkennung bekommen, die sie vor rund 100 Jahren einmal hatten.
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Über 120 Jahre alt: Ausweis einer geschützten Weinkultur
2008 war der erste Jahrgang, den Loewen aus seinem neu erworbenen Museum zu Wein bereitete. Zwei Söhne haben die Loewens auf die Welt begleitet, da standen die Chancen nicht schlecht, dass wenigstens einer von ihnen die Wein-Gene ihres Vaters erben würde. Sebastian kam seiner Mutter Edith gleich und wurde wie sie schließlich Lehrer, Christopher begeisterte sich schon als kleiner Junge für Wein. Als er eines Tages ein seltsames selbstgebasteltes Ding an seinen Kindertraktor montierte, das er mit Feuereifer zu einem Laubschneider erklärte und gekonnt durch die Büsche bugsierte, war die Sache für die Eltern geritzt. Vater Loewen musste sich da noch ein paar Jahrzehnte gedulden, bis er die Verantwortung für Keller und Weinberg mit seinem Sohn teilen konnte. Heute könnte man meinen, dass er auf ihre gemeinsame Zukunft regelrecht hingearbeitet hat. Aber das ist leichter gesagt, als getan. Denn was die Zukunft tatsächlich bringen würde, konnte er damals noch nicht wissen.
Seinem Faible für Weinberge mit verblassenden Weltruf und alten Reben blieb er treu, was seinem Sohn während dieser Zeit nicht verborgen geblieben sein dürfte. Denn im Dorf galt Loewen nicht selten als »Spinner«, wenn er mal wieder eine Parzelle ergatterte, die gemeinhin für unwirtschaftlich gehalten wurde. Loewen war von ihrem Potenzial für große Weine überzeugt, seine Kollegen von ihrer Unrentabilität. Vor hundert Jahren genossen solche Lagen weltweit einen exzellenten Ruf, dass sie heute an diese glorreichen Zeiten anknüpfen, ist Winzern wie Karl Josef Loewen zu verdanken. Er erkannte die Güte dieser Weinberge nicht allein an den verschiedenen Schieferformationen oder Neigungen der Weinberge, sondern auch in der Genetik der Reben.
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Kam es aufgrund Flurbereinigungen zu Rodungen, gab er schützenswertes Pflanzenmaterial in die Rebschule und ließ es dort vermehren und aufpfropfen. So entstand schon 1992 sein Riesling »Varidor«. Die Begeisterung für Wein musste Loewen bei seinem Sohn nie schüren, sie kam von selbst, war selbstverständlicher Teil der Familie und wurde geflissentlich übersehen. Damit war es endgültig vorbei, als Christopher sein Weinbaustudium in Geisenheim mit einer Bachelor-Arbeit über die Weinbereitung vor 100 Jahren zu einem erfolgreichen Ende brachte. 2012 setzten Vater und Sohn das Thesen-Papier in die Tat um. Dass die Reben aus dem Maximiner Herrenberg zur Quelle dieses Weins wurden, war ein elementarer Aspekt bei der Rekonstruktion dieses Weins und sicherlich auch Genugtuung für den weitsichtigen Vater.
Während Karl Josef Loewen seinen Riesling weiterhin nach seinen Erkenntnissen und mit moderater Technik bereitete, klaubte sein Sohn eine uralte Holzkorbpresse hervor und verschollen geglaubtes Weinwissen zusammen. Die Trauben beließ er nach der Lese über Nacht in einem Bottich im Weinberg. Der Vater brachte sie noch am gleichen Tag ins heimische Leiwen, wo sie entrappt und mit einer pneumatischen Presse aus dem 21. Jahrhundert schonend gepresst wurden, wie es heute so schön heißt. Einen Tag später gab Christopher einmal vollen Druck auf die antike Korbkelter und ließ den Maischekuchen über 24 Stunden langsam ausbluten. Beide Weine wurden spontan vergoren, wie es bei Loewen ohnehin üblich ist. »Wir waren beide gespannt, ob sich überhaupt geschmackliche Unterschiede feststellen lassen würden«, sagt Christopher Loewen. Um eine Erfahrung reicher und zwei sehr ähnliche Weine im Keller mehr, so einen Ausgang habe er damals nicht für unmöglich gehalten. Es kam anders, weil die Weine völlig anders, doch beide delikat gerieten.
Klarheit versus Mystik
Während Karl Josef Loewen seinen Riesling weiterhin nach seinen Erkenntnissen und mit moderater Technik bereitete, klaubte sein Sohn eine uralte Holzkorbpresse hervor und verschollen geglaubtes Weinwissen zusammen.
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Der eine aus der konkreten Gegenwart, der andere eine Möglichkeit aus der Vergangenheit: Klarheit versus Mystik. 2015 wiederholten sie dieses Projekt nun bereits zum vierten Mal. Der Retro-Riesling mit dem Namen »1896« muss mittlerweile streng zugeteilt werden. Das Interesse an ihm übersteigt seine produzierte Menge bei weitem. Man darf sich das einmal genüsslich auf der Zunge zergehen lassen: Erzeugt mit scheinbar überholten Erkenntnissen und uralten Gerätschaften, kostet dieser Wein rund 40 Euro ab Hof, und kein Weinliebhaber zuckt beim Kauf mit der Wimper dabei. Auch so gewinnt man den Erfolg der Vergangenheit in die Gegenwart zurück. Die Loewens wären aber nicht die Loewens, wenn es allein bei einem Spleen mit Scoop-Effekt geblieben wäre.
Wobei es bleibt, und auch das gehört zur Renaissance an Mosel, Saar und Ruwer, ist das Festhalten an anspruchsvollem Wein, das gebietet die ruhmreiche Vergangenheit dieser Region – und der eigene Geschmack sowieso. Falstaff war von der Kollektion des Weinguts begeistert, weil sie nicht allein die formidablen Rieslinge aus dem aktuellen Jahr 2015 zeigte, darunter ein flimmernder Kabinett und eine betörende Beerenauslese aus dem Maximiner Herrenberg, sondern auch einen trockenen Riesling Thörnicher Ritsch aus dem klimatisch nicht gerade reich beschenktem Jahr 2010. Falstaff-Verkoster Thorsten Firlus notierte dazu: »Lachfalten sind Alterserscheinungen zum Feiern.« So ist es. Stoßen wir also auf die Mosel an, denn eine vergleichbare Kulisse für den Wein gibt es auf der ganzen Welt so nicht. Und auf das Weingut Carl Loewen natürlich, dessen formidable Rieslinge Falstaff heuer zur »Kollektion des Jahres 2017« kürt.