KOSTBARE SPARSAMKEIT
Champagner dürfen sie nicht sagen, aber die Aldinger-Brüder wissen es besser
Bei der Verkostung der eigenen Sekte im Besonderen und beim Champagner im Allgemeinen bevorzugt Matthias Aldinger bauchige Burgunder-Gläser. Auf den Einwand, dass die Kohlensäure so ja rasch stiften gehen würde, reagiert er gelassen. Nach einer kurzen Pause schiebt Aldinger ein »eben« ein, bevor er die nächste Sektflasche kopfüber aus dem Wasserkasten zieht, rasch den Korken entfernt, die Öffnung mit seinem Daumen verschließt, um mit einer geschickten Auf-zu-auf-zu-Bewegung die unter ihm liegende Grasfläche mit dem Hefedepot zu besprengen. Dabei fällt der Verlust reinen Sekts so marginal aus, dass man unwillkürlich an eines der Schwaben-Klischees denkt und deutliche Sympathie für diese sparsame Haltung empfindet, die offensichtlich auch die Geschicklichkeit deutlich verbessert und zu Gunsten eines zartperlenden Trunks ausfällt, der sich zu den wenigen der Besten in Deutschland zählen darf.
Sympathisches Schwaben-Klischee
Die Kulisse könnte großartiger nicht sein. Aldinger hat Bank und Tisch in soliden Ausführungen aus einer Hütte geholt, die vor über hundert Jahren inmitten von Aldingers Monopollage »Untertürkheim Gips« erbaut wurde. Die Kessellage heizt sich im Sommer schnell auf und bietet auf 200 Höhenmetern einen fantastischen Blick auf die Fellbacher Weinberge, nach Stuttgart reicht ein Steinwurf. Sechs Jahrgänge haben er und sein Bruder Hansjörg bis heute in Eigenregie versektet. Bereits ihr Einstieg 2009 geriet famos und kam nach sieben Jahren auf der Hefe in einer homöopathischen Menge von 500 Flaschen auf den Markt.
»Mich interessierten die Reaktionen«
»Bei 50 Euro für eine Flasche interessierten mich die Reaktionen«, sagt Matthias Aldinger, riecht die Reihe aus sechs Burgundergläsern ab und beginnt sein Plädoyer für den bauchigen Kelch: »Ein langstieliges Champagnerglas mit einem schmalen Kelch, der sich nach oben hin womöglich noch verjüngt, entlässt nicht nur weniger Duft, sondern verzerrt ihn auch.« Da der Grundwein aus Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier jedes Jahr aus verschiedenen Anteilen besteht und immer ohne Schwefel im Holzfass ausgebaut werde, entstehe dabei auch stets ein eigenständiger Wein, der seine Maßstäbe an Klarheit auch ohne kaschierende Perlage erfüllen müsse. Dafür eigne sich eben nur ein großvolumiges Glas.
Gerd Aldinger lässt seine Söhne gewähren, weil er ihnen vertraut
Die Idee großer Charakter-Sekte mit langem Hefelager hat die beiden Brüder in ihren Bann gezogen. Vor kurzem reüssierten sie mit dem Nachfolger aus 2010. Und wie! Dem Jahrgang gedankt, fließt er kühler, transparenter den Gaumen hinab, bleibt straff und würzig zurück. »Wir haben einen Raum in einem ehemaligen Luftschutzbunker angemietet«, erzählt Hansjörg Aldinger. Ihre gesamte Sektproduktion werden sie bald in den Stuttgarter Untergrund verlegen, wo bei konstanten 11 Grad Celsius perfekte Bedingungen herrschen. Indes beschränken sich ihre Ideen nicht auf Sekt allein: Ihr ungeschwefelter Trollinger »Sine« ist Rekonstruktion eines verlorenen Weinstils und Abbild unserer Zeit gleichermaßen; dass die zuständige Weinkontrolle ihm die AP-Nummer verweigerte, belegt deren Gestrigkeit.
Kühl und transparent
Doch solche Hindernisse hielten schon ihren Vater Gert Aldinger nicht auf, der allen Unkenrufen zum Trotz bereits in den achtziger Jahren Cabernet und Merlot in allen erdenklichen Varianten in heimische Weinberge pflanzte. Seine 1994 Cuvée »C« erinnert an Eukalyptus und zeigt zwar schlanke, aber immer noch frische Frucht. In seiner Ausgabe von 1996 vergab der »Gault Millau« 15 Punkte und prognostizierte ein Trinkfenster bis zum Jahr 2000. Dass Gert Aldinger damals seiner Zeit voraus war, ist bekannt, doch wie viele Jahre es genau waren, zeigte uns nun dieser Wein. »Wenn’s die Jungen können, warum sollen die Alten noch die Gosch aufmachen?« sagt Gert Aldinger zum Schluss, und als er das sagt, sieht man ihm seinen Stolz an.
zuerst veröffentlicht in Falstaff Weinguide 2017