WORTLOSER AUFBRUCH
Dirk Würtz hat sich in den vergangenen Jahren für den Rheingau stark gemacht. Auf allen Kanälen. Nun hat er die Region verlassen. Er fehlt.
Haben die Rheingauer Winzer in den Jahren des Aufwinds nur auf ein Pferd gesetzt, womöglich gar keinen Plan B in der Tasche, weil sie dachten, der macht das schon? Dirk Würtz hat das Weingut Balthasar Ress als Weinmacher und den Rheingau als Sprachrohr verlassen. Er hat eine Lücke hinterlassen, die zu füllen, der Region nicht leichtfallen wird. Denn wenn der Rheingau und seine Weine in den letzten zehn Jahren deutliche Fortschritte machen und an Zuspruch gewinnen konnten, dann war es doch in vielen Fällen Würtz, der die Öffentlichkeit darüber auch informierte. Die vorbildlichste Entwicklung ist ja am Ende nicht viel wert, wenn keiner darüber spricht.
Wer solch einen Aufwand betreibt, tut gut daran, auch darüber zu berichten
Würtz war Lobbyist, Multiplikator und Kritiker des Rheingaus in Personalunion und hat seinen nachhaltig-fortschrittlichen Geist auch auf das Weingut Balthasar Ress übertragen, dessen Weine so mutig, wie sie bisweilen beschrieben werden, eigentlich gar nicht sind, sondern genau jenen Zeitgeist widerspiegeln, den es braucht, damit der Rheingau auch in Zukunft eine wichtige Rolle auf dem Weinmarkt spielt. Bei Balthasar Ress war ein ganzes Team damit beschäftigt, Beeren händisch vom Stielgerüst zu zupfen und nur die allerfeinsten Früchte in neue 400-Liter Gebinde aus französischer Eiche zu betten, wo sie als »Caviar« in aller Ruhe auf ihre Gärung warten durften. Auf die Zugabe von Schwefel verzichtete Betriebsleiter Dirk Würtz bei diesem Wein gleich vollends. Der 2016er dürfte der beste sein, den das Weingut je verlassen hat: Kühl und wunderschön transparent.
ALTENKIRCH | LORCH 2017 Lorcher Pfaffenwies Riesling trocken Erstes Gewächs: Kommt in der Nase noch nicht in die Puschen, weshalb der Gaumen momentan meinungsbildend aushelfen muss. Straff, salzig-pikant und mit sehr guter Länge kommt er daher. Sicher ein Langstreckenläufer. BALTHASAR RESS | HATTENHEIM 2016 »Caviar« Pinot Noir trocken: Kühl und von ätherischer Würze im ersten Eindruck. Sauer- und Süßkirsche als fruchtprägender Hintergrund. Wunderschöne Transparenz und Vitalität am Gaumen. Klingt lange und betörend-tänzerisch nach. Beweist grazile Größe.
Foto Balthasar Ress
BARTH | ELTVILLE 2017 Hallgartner Schönhell Riesling Auslese: Hier wurde nicht versucht mit einer verkappten BA auf dicke Hose zu machen. Das ist eine pure Auslese wie aus dem Bilderbuch, deren reichhaltig-süßer Schmelz von einer präzisen Säure durchzogen wird. Großartig! BIBO RUNGE | OESTRICH-WINKEL Rheingau Riesling Sekt brut: Rauchig-reif konturierter Duft mit Nuancen von gerösteten Mandeln, getrockneten Zitronen und salzigem Hefegebäck. Am Gaumen mit zupackendem Saft und würziger Säureader. Erfrischt als Solist und begleitet eine Speise gleichermaßen kongenial. BISCHÖFLICHES WEINGUT | RÜDESHEIM 2015 Assmannshäuser Pinot Noir »S« trocken: Während sich die Nase mit Cassis, Kirsche und rauchiger Würze in Gönnerlaune gibt., geht’s am Gaumen überraschend straff, fast streng zu. Ein aromatischer Widerspruch, ein köstlicher zudem. BOTT | BISCHOFSHEIM 2016 Kostheimer St. Kiliansberg Spätburgunder trocken: Rauchig-würziges Bukett mit kühl anmutender Frucht und ätherischer Kontur. Straff und präzise am Gaumen, baut guten Druck auf, der durch festes Tannin und frische Säure abermals verstärkt wird. Potenzial. CHAT SAUVAGE | GEISENHEIM 2016 Rheingau Chardonnay trocken »Bestes Fass«: Reduction noble par excellence. Dabei mit feiner Frucht ausgestattet. Leicht rauchig und unbedingt mineralisch untermalt. Am Gaumen weit öffnend, ungeheuer frisch und animierend. Großer Wein! CORVERS-KAUTER | OESTRICH-WINKEL 2016 Rüdesheimer Drachenstein Pinot Noir trocken: Erinnert an Süßholz, Salmiak und ätherisches Gewürz. Den Ausbau in Neuholz kann er nicht leugnen, doch lässt sich dahinter ein kompakter, kühler Kern erkennen. Bis der delikat zum Vorschein kommt, wird noch einige Zeit vergehen. Entwickelt sich bereits im Glas grandios und in Riesenschritten. Exzellenter Stoff. CRASS | ELTVILLE 2017 Erbacher Siegelsberg Riesling Spätlese: Kommt reif und üppig daher. Nuancen von überreifen Gelbfrüchten, Honig und kandiertem Apfel. Dabei aber auch kräuterfrisch. Wunderbar saftig und von einer feinen Süße-Säure-Balance getragen. Hält am Gaumen lange an und im kühlen Keller vermutlich noch ziemlich lange durch.
Wer solch einen Aufwand betreibt, tut gut daran, auch darüber zu berichten. Dass solcherlei Weine rar bleiben, liegt in der Natur jeder Delikatesse. Mit seiner offensiven Gesprächskultur hat sich Würtz in einer Region, die in ihrem Herzen erzkonservativ ist, nicht nur Freunde gemacht. Sein schlaksiger Körper fließt geradewegs über eines der Lounge-Sofas, die auf der Terrasse des Weinguts Balthasar Ress für eine chillige Atmosphäre sorgen sollen, als wir ihn im letzten Sommer noch einmal im Rheingau besuchen. Er trägt Outback-Schuhe von Redback und eine Jeans mit vielen Löchern. In diesem Jahr ist er 50 Jahre alt geworden. »Einen Schuss habe ich noch frei«, sagt er. Den wolle er jetzt nutzen und noch einmal etwas ganz Neues anfangen. Es zog ihn nach Nierstein zum Weingut St. Antony, wo er Felix Peters als Gesellschafter abgelöst hat, der sich seinerseits zu neuen Ufern aufmachte. Eingedenk der rasanten Entwicklung, die das Weingut Balthasar Ress in den letzten Jahren genommen hat, war das schon eine krasse Zäsur.
»Einen Schuss habe ich noch frei«, sagt er
Dem einen oder anderen wird es vermutlich sogar recht gewesen sein, wenn Würtz sich fortan um Gewächse in den Gefilden Rheinhessens kümmert. Doch die sich anbahnende Ruhe könnte dem Rheingau teuer zu stehen kommen, denn momentan ist die Position als bestens vernetzter Kommunikator vakant und niemand in Sicht, der sie zeitnah besetzen wird, vor allem das auch will und kann. Nun mag man einwenden, dass andere Regionen auch irgendwann ihrer Werbetrommel-Ära entwachsen sind. Doch ist der Rheingau schon so weit wie Rheinhessen, wo etwa ein Philipp Wittmann zu einem Zeitpunkt aus der Öffentlichkeitsarbeit verschwunden ist, als die Region bereits genügend Schwung aufgenommen hatte, um auch ohne Lobby-Zugpferd zurechtzukommen?
Eigentlich ging Würtz zum denkbar unglücklichsten Zeitpunkt
Eigentlich ging Würtz zum denkbar unglücklichsten Zeitpunkt, denn der Rheingauer Umbruch, von dem in letzter Zeit immer häufiger gesprochen wurde, setzte als konkreter Aufbruch gerade erst ein. Der könnte nun rasch wieder zum Erliegen kommen, wenn niemand mehr da ist, der seinen Kollegen auch mal unverblümt auf die Finger klopft, sich aber nie zu schade dafür ist, seinen Kopf für die Region hinzuhalten, weil den in der Weinszene jeder kennt. Aus seiner neuen Heimat hört man von dem Tausendsassa in letzter Zeit selten. Das wird seine Gründe haben. Rheinhessen ist in den sozialen Medien gut aufgestellt. Saturiert, möchte man das fast nennen. Aber das stimmt natürlich nicht. Doch den großen Umbruch hat die Region schon lange hinter sich. Und der Rheingau? Mit über 30 Mitgliedern ist der VDP im 3100 Hektar kleinen Rheingau traditionell sehr stark besetzt.
Kontinuierlich eine Schippe draufgelegt
Da ist es umso erfreulicher, wenn es auch außerhalb dieses noblen Klüngels einmal Nennenswertes zu berichten gibt. Dabei schlägt etwa das Weingut Corvers-Kauter mit seinen kompromisslos-straffen Rieslingen aus Rüdesheimer Berglagen eine veritable Schneise in die vorderen Reihen des VDP, während sich die Pinots aus Rüdesheim und Assmannshausen beinahe geräuschlos an die Spitze der Region herangerobbt haben. Ließ das Rüdesheimer Weingut Carl Erhard bereits in den letzten Jahren mit exzellenten Rieslingen aus den Ur- und Kernlagen im Rüdesheimer Berg aufhorchen, legen Petra und Carl Erhard kontinuierlich eine Schippe drauf.
»Rheingaus Beste unter dem Radar«
Die Preise, die sie für ihre würzigen Unikate aufrufen, sind auf angenehme Weise so gar nicht Rheingau-typisch. Aufheben machen sie darum nicht. Damit der Aufwind am Ende in eine weiterhin prosperierende Zukunft trägt, wäre eine Stimme, die etwas zu sagen hat, trotzdem nicht unerhört. Wir leisten an dieser Stelle unseren Beitrag und präsentieren »Rheingaus Beste unter dem Radar«. Freilich bestimmen wie immer Ausnahmen die Regel, wiewohl die grüne Auswahl am Rande keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
CARL ERHARD | RÜDESHEIM 2017 Rheingau Riesling trocken (Liter): Gegen diesen Liter dürfte so manch ein Guts- oder Ortswein ziemlich alt aussehen. Erhards Visitenkarte ist nämlich nicht allein im allerbesten Sinne süffig, sondern kommt auch mit mutiger Säure und zartherber Kontur daher. GEORG MÜLLER STIFTUNG | HATTENHEIM 2016 Auxerrois »Hommage à George« trocken: Reduction noble geprägtes Bukett mit Noten von getrockneten Kräutern, Apfelchips und geröstetem Graubrot. Kraftvoll-pikanter Geschmack mit straffer Struktur und feinem Schmelz. Salziges Finish. Top-Stoff! GOLDATZEL | GEISENHEIM 2016 Geisenheimer Kläuserweg Spätburgunder Auslese trocken: Als »Auslese« mit keinem Gramm Speck zu viel auf den Hüften. Bei aller Reife und Konzentration bleibt der Wein brillant in der Frucht, maßvoll in der Toastwürze und saftig-frisch bis ins Finish.
JAKOB JUNG | ELTVILLE 2013 Spätburgunder »Alexander Johannes R« trocken: Cassis, Holunder, ätherisches Gewürz, noch leicht reduktiv. Enorm spannend und eigenständig. Baut am Gaumen einen gewaltigen Spannungsbogen auf, der von saftig-kühler Frucht über elegante Gerbstoffe und frischer Säure zu einem famosen Wein führt. JÖRN WEIN | GEISENHEIM 2015 »Schlossberg« Riesling Landwein trocken: Da beginnen wir zunächst einmal mit der Süße, die der Wein zweifelsfrei hat, die jedoch ist seinem fulminanten Extrakt geschuldet und keinem Restzucker. Freilich mag er sich nicht an der Sorte Riesling messen lassen. Weil er ein großer, eigenständiger Wein ist! KAUFMANN | HATTENHEIM 2016 Hattenheimer Hassel Pinot Noir GG: Mineralisch-exakter Typus mit deutlicher, aber sehr edler Toastwürze. Ätherisch anmutend. Sauerkirsche und Bitterschokolade. Saftig-phenolische Kontur mit mineralisch forcierter Säure und straffem Kern. Potenzial! QUERBACH | OESTRICH-WINKEL 2012 Oestricher Doosberg »Milestone« Riesling GG: Getrocknete Kräuter heimischer und mediterraner Provenienz. Apfel- und Birnenchips. Am Gaumen wiederum würzig, doch mit jener Portion Säure und Saft, die ihn zu einem fein gereiften Riesling machen. SCHAMARI-MÜHLE | JOHANNISBERG 2016 Johannisberger Hölle Spätburgunder trocken: Viel saftige Kirschfrucht und feindosiertes Toasting im Bukett. Leicht rauchig, würzig. Am Gaumen von kühl anmutender Struktur. Feine Säure spielt im Hintergrund. Sehr gute Länge. SOLTER | RÜDESHEIM 2001 »Cuvée H« brut: Bernsteinfarben. Dem morbiden Duft eines reifen Rieslings folgt ein wunderbar cremiger und säurefrischer Geschmack, der mit Noten von Nougat feinsalzig ausklingt. Ein Solitär! WURM | LORCH 2015 Lorcher Krone Riesling trocken (Orange): Duftet wie ein klösterlicher Kräutergarten, enorm ätherisch, ohne aufbrausend zu sein. Markanter Gaumenauftakt mit rauchig-würziger Kontur, vehementen Gerbstoffen und cremig-herbem Finish.
Titelbild © DWI