MORGENROT

MORGENROT

»Aber keine Formel Eins«, sagt der Traktorist. Der kleine gedrungene Mann hat breite vernarbte Hände und ein Gesicht, wie die Topographie des Landes aus dem er stammt

Die roten Felgen des Traktors glühen in der Morgensonne, obwohl sie schmutzig sind, auf dem Anhänger steht ein Kleinkompressor, der unsere Pressluftscheren antreiben soll, das feuchte Grün blendet fast, die Ruten der Reben sind nicht mehr von diesem fleckigen Braun, erinnern eher an wilde Sträuße von Stangenzimt, der Viertaktermotor, der den Kompressor antreiben soll, ist noch still, das Licht taucht alles ein, und ich kann gar nicht sagen, ob das besonders wirklich oder unwirklich ist, und wie man das von einem Rasenmäher kennt, hat der Motor ein Anlasserseil, um ihn mit einem lauten Rattern zum Leben zu erwecken, doch das Seil bleibt noch unberührt, ein Kasache mahnt zur Geruhsamkeit, aber keine Formel Eins, sagt der Traktorist, der kleine gedrungene Mann hat breite vernarbte Hände, ein Gesicht, wie die Topographie des Landes aus dem er stammt und Augen so scheinbar tief wie das Kaspische Meer, der Traktor steht still neben den Reben, und wir sitzen auf dem Anhänger, auf dem auch der Viertakter steht, der irgendwann die Pressluftscheren antreiben soll, aber noch still ist, weil er erst, wie bei einem Rasenmäher, angelassen werden muss, und das ist so, weil der Kasache jetzt einen schmutzigen Witz erzählt, der lustig ist, weil sein Deutsch gebrochen klingt, der Winzermeister streckt sich, und die Sonne sieht mittlerweile aus wie eine Blutorange, die Kondensstreifen zweier Flugzeuge kreuzen sich, der Winzermeister reibt seine Stirn mit einem japanischen Heilöl ein, weil er regelmäßig von heftigen Migräneattacken geplagt wird, er macht ein paar Dehnübungen, weil es empfindlich kühl ist an diesem Morgen, dabei setzt er immer wieder laute Stoßseufzer aus, und sein Gesicht verschwindet fast in dem Nebel, den seiner warmer Atem ausstößt, und der Viertaktermotor hat einen kleinen Tank, der noch leer ist, weil er erst gefüllt werden muss, damit der Motor sein Rattern beginnt, der den Kompressor und schließlich die Pressluftscheren antreiben soll, und das ist so, weil der Kasache jetzt ein Abenteuer aus seiner Heimat erzählt, wie er aus einer Wolfshöhle zwei Jungtiere rauben wollte, sie auch schon gepackt hätte, als ihm das Muttertier entgegengekommen wäre, er fuchtelt dabei wild mit seinen Armen herum und ahmt das Knurren eines Wolfes nach, mit bloßen Händen hätte er den Wolf schließlich erwürgt, sagt er, und als würde er alles noch einmal erleben, quetschen seine Hände jetzt einen unsichtbaren Hals, und er macht ein ganz komisches Gesicht dabei.

Ich schaue herüber zu den Reben, die wild wuchernd neben uns stehen, wie hunderte Bündel von Mikadostäbchen, wenn Kinderhände sie halten.

Und der Viertaktermotor hat einen kleinen Tank, der noch leer ist, weil er erst gefüllt werden muss, damit der Motor sein Rattern beginnt, der den Kompressor und schließlich die Pressluftscheren antreiben soll.

Die Gurgel des Wolfes hätte er solange gedrückt, bis seine Freunde ihn nach ein paar Stunden gefunden hätten, sagt er, und als der Kasache fertig ist mit seiner Geschichte, ist es uns schon wieder ein bisschen wärmer, ich schaue herüber zu den Reben, die wild wuchernd neben uns stehen, wie hunderte Bündel von Mikadostäbchen, wenn Kinderhände sie halten, und oben am Waldrand sehe ich das Zelt, von dem, den sie Icke nennen, und ich weiß, dass der da schläft, zu jeder Jahreszeit, draußen in der Natur, das hat er mir gestern im Dorf erzählt, während ich versuchte gleichzeitig mit ihm auszuatmen, weil ich die Natur auch aus seinem Mund gerochen habe, und ich denke, dass der Icke verrückt sein muss und dass sich ein Verrückter in einem Dorf ganz gut macht, besser jedenfalls als in einer Stadt voller Verrückter, der Winzermeister schält eine Mandarine, und das ist so, weil der Tank noch nicht gefüllt ist, um den Viertakter, der mit dem Seil angelassen wird, mit einem lauen Rattern zum Leben zu erwecken, und während der Winzermeister von den Mandarinenstückchen die kleinen, weißen Fäden abzieht, denke ich an den Icke und dass ich mal richtig hinhören muss, wenn er im Frühjahr wieder mit seiner Trompete im Weinberg steht und falsch spielt, und vielleicht in hundert Meter Entfernung schießt ein Falke in eine Rebzeile, taucht wenig später wieder über den Ruten auf und setzt sich auf einen hölzernen Endpfahl, und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das besonders wirklich oder unwirklich ist, und als ich von weiter her Musik aus einem Radio höre und gleich darauf der Icke auf seinem Fahrrad näher kommt und auch die Musik, tendiere ich zu letzterem, und sicher bin ich mir dann, als ich sehe, dass der Icke auf seinem Lenker ein Radio festgeschnürt hat und auf seinem Gepäckträger einen großen Strauß gelb blühender Sträucher, Winterjasmin sei das, duftet aber kaum, sagt er, und der Meister hat eine Flasche aus seinem Rucksack gezogen, alter Burgunder Marc sei das, sagt er, und als die braune Flüssigkeit unsere Rachen herunter läuft, wird es uns wieder warm, fast noch wärmer als es uns war, als wir die Geschichte mit den Wölfen gehört haben, der Icke ist mit seinem Rad weitergefahren, die Musik aus seinem Radio hört man immer noch, nur den Icke sieht man nicht mehr, das Rattern eines angelassenen Motors übertönt die Schlagermusik, das Holz leuchtet nicht mehr, hat eher die Farbe des Burgunder Marcs angenommen, Wolkentürme haben sich vor die Sonne geschoben, der Regen zieht Fäden vom Himmel, auf dem Anhänger sitzt der Kasache neben mir, immer wieder schleudern die Reifen des Traktors Schlammteile in unsere Richtung, wir haben uns Kapuzen über unsere Köpfe gezogen, das mit der Formel Eins klappt doch ganz gut, sagt der Kasache, und wir lachen.

Fotos Jörg Bercher

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