FAHRT AUFNEHMEN

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Als Wilhelm Weil zu einer Gräfenberg-Vertikale mit dem Großen Gewächs und der fruchtigen Spätlese einlud, ließ es sich in vorzüglichen Weinen schwelgen und nebenbei auch über den Rheingau an sich nachdenken

Wenn es darum geht, das Image seiner Heimatregion zu schärfen, steht Wilhelm Weil als Inhaber des Weinguts Robert Weil und Vorsitzender des VDP Regionalverbandes häufig an vorderster Front. Immer öfter hört und liest man davon, dass nun endlich jener Ruck durch den Rheingau gehe, der zuletzt immer lauter und energischer gefordert wurde, weil sich seine Weine auf ihren Lorbeeren ausruhen und neue Impulse ausbleiben würden. Wie es um die Gegenwart bestellt ist und was aus den guten alten Zeiten geworden ist, zeigte Weil unlängst bei einer grandiosen Probe mit trockenen Rieslingen und fruchtsüßen Spätlesen zurück bis ins Jahr 1921 aus seiner Paradelage Kiedricher Gräfenberg.

Weil diese Weine seit jeher zur Elite der deutschen Weinkultur gehören, mögen sie einerseits als Gradmesser einer Region und Anzeichen ihrer Aufbruchsstimmung wenig geeignet erscheinen, widerlegen andererseits aber die These einer in Wohlgefallen erstarrten Region. Denn Weil hinterfragt seine Weine auch dann, wenn sie gerade ihre größten Erfolge feiern. Wenn sich seine Keller-Philosophie in den letzten Dekaden immer mal wieder einen Tick verändert hat, dann geschah dies stets mit dem Ziel, das Terroir des Gräfenbergs noch deutlicher im Wein abzubilden. Aufgrund seiner Güte wurde die in südwestlicher Richtung liegende Höhenlage bereits 1867 als »Klasse I« eingestuft. Der Gräfenberg zählt damit zu den ältesten klassifizierten Weinbergen in Deutschland.

Heute ist der rund elf Hektar Rebfläche umfassende Gräfenberg mit seinen Böden aus Glimmerschiefer und Lößlehm untrennbar mit den Rieslingen des Weinguts Robert Weil verbunden, selbst wenn er keine Monopollage von Weil ist. Ihre Strahlkraft reichen fast über den ganzen Erdball, weil sie in geradewegs beängstigender Reihenfolge brillant geraten und in manchen Jahrgängen gar Vollkommenheit erreichen. Ausnahmen bestätigen die Weil’sche Regel selten, aber immerhin tun sie es, was dem Weingut menschliche Züge verleiht und ihm den Nimbus kalter Perfektion nimmt. Da ist es dann nur beruhigend festzustellen, dass der Jahrgang 2006 dem Grossen Gewächs heute durchaus anzumerken ist, wenn sich seine extreme Vegetationszeit und massiven Regenfälle im Herbst mit jodig-reifen Aromen in der Nase und zartbitteren Akzenten im Gaumen zu erkennen geben.

Natürlich hätte Weil diesen Wein nicht zeigen müssen, ebenso wenig den etwas morschen 2002er, dass er es trotzdem tat, ist Ausdruck seiner Souveränität. Gerade so wie sein Gräfenberg auch mit dem Wüstensommer 2003 umzugehen wusste, aus dem kein dicker Riesling ohne Säure und Perspektive hervorging, sondern ein fulminantes Grosses Gewächs, das vor Konzentration und Lebensfreude gerade nur so strotzt. Trotz anhaltender Dürre konnten sich die Reben mit ausreichend Wasser aus den Tiefen des Gräfenbergs versorgen. Auch das belegt die Ausnahmestellung dieser Grossen Lage. Weil lacht häufig an diesem Tag, wofür sich seine oft ernsthaft wirkende Miene mit fast spitzbubenhafter Entspannung bedankt. Vielleicht ist es aber auch einfach schon eine Weile her, seitdem er das Grosse Gewächs aus 2004 zum letzten Mal probiert hat und nun mit großer Freude bemerkt, welch großartige Finesse aus diesem klassischen Jahrgang geworden ist. Die unzähligen Geschichten seines Weinguts, die Entstehung und Entwicklung seiner Weine erzählt Weil in einem Plauderton, der ihn vor jeder Art Hochnäsigkeit bewahrt.

Dem 2006 Gräfenberg ist sein Jahrgang anzumerken

Natürlich hätte Weil diesen Wein nicht zeigen müssen, ebenso wenig den etwas morschen 2002er, dass er es trotzdem tat, ist Ausdruck seiner Souveränität.

Das Weinmachen, sagt er, sei früher doch viel mehr ein machen-lassen gewesen, sein Ergebnis viel weniger planbar. Wenn es kalt wurde, sei es mit der Gärung eben schnell vorbei gewesen und trockene Weine so eher die Ausnahme als die Regel. Wofür die Grossen Gewächse aus dem Rheingau heute mitunter gescholten werden, spielte früher keine Rolle, wenn es allein um ihre Güte, aber nicht um ein paar Gramm Restzucker mehr oder weniger ging. So gab es 1921 bei Weil einen herausragenden Riesling, der als Cabinet mit zwischen sechs und 15 Gramm Restzucker gefüllt wurde und sich seine Delikatesse bis heute bewahrt hat. Wenn sein Duft nach Butterkeks, Minze und Jod noch heute aufregend ist und sein erstaunlich viskoser Kern von einer quirligen Säure aufgemischt wird, dann mag solch eine Rarität sogar zum Vorbild für die Zukunft geraten. Das Grosse Gewächs aus 2013 ist vielleicht der beste Beweis dafür, da es sich geradewegs ungestüm und mit würzigen Akzenten aus der Spontangärung entfaltet und so stellvertretend für den Paradigmenwechsel einer gesamten Region stehen könnte.

Ein Riesling, der bei aller Präzision auch für einen legereren Ansatz bei der Weinbereitung plädiert. Das ist gewiss nichts Neues, aber ein starkes Zeichen von einem Weingut, das seinen Weltruf lange Zeit einem überaus präzisen und kontrollierten Stil verdankte. Diese Rieslinge mit makelloser Frucht entstanden in einer Periode, als auch das letzte Eichenfass aus den Weil’schen Kellern verbannt und durch Edelstahl ersetzt wurde. Die sukzessive Rückkehr der Stückfässer Anfang der 2000er-Jahre geschah zu einer Zeit, da auch die Lage für die Güte eines Weins in Deutschland wieder an Bedeutung gewann und 2002 zu einem ersten Klassifikationsstatut Grosser Gewächse des VDP’s führte. Peu à peu rückte die bestimmte Herkunft wieder in den Mittelpunkt, während der Zuckergehalt der Trauben für eine Gütebestimmung an Aussagekraft verlor.

Die Renaissance großer deutscher Weinberglagen nahm weiter an Fahrt auf, die aus ihnen gewonnenen Weine gerieten differenzierter, je intensiver sich ein Weingut mit seinen Lagen auseinandersetzte. Jahr für Jahr wuchsen nun auch die Anteile spontan vergorener Partien in Weils Grossem Gewächs, das mittlerweile wieder komplett in Eichenfässern ausgebaut wird. Wenn sich der 2013er heute schon so entspannt gibt, hat es fast den Anschein, dass er die Gegenwart und die gute alte Zeit gleichzeitig in sich trägt. Bei aller Perfektion hat bei Weil womöglich etwas Laissez-faire Einzug gehalten. Die Zügel bei der Weinbereitung werden lockerer, dem Gräfenberg im Riesling so noch mehr Raum gelassen. Was man über diesen Wein wohl in 100 Jahren sagen wird?

Wird er sich als Ikone in die Weingeschichte eingeschrieben haben, die nicht nur eine Trendwende bei Robert Weil markierte, sondern zum Impulsgeber einer gesamten Region geworden ist? Man wird sehen. Die Chancen jedenfalls stehen nicht schlecht, dass bis dahin noch ein paar Flaschen übrig sind, denn Weil hält von seinem Grossen Gewächs aus dem Kiedricher Gräfenberg mittlerweile rund 2.000 Flaschen eines Jahrgangs für die Zukunft zurück. Die Geschichte der Rheingauer Weine ist also noch lange nicht zu Ende erzählt. Im Gegenteil, sie bleibt im Fluss, dafür trägt das Weingut Robert Weil Sorge.

Fotos Weingut Robert Weil

zuerst veröffentlicht in Falstaff online 2015

Weingut Robert Weil

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