BIPOLARE SCHÖNHEIT
Der Libanon zählt zu den ältesten weinbaureibenden Ländern der Welt. Doch sein Fingerabdruck scheint fortwährend zu verschwimmen.
Das Bewusstsein Libanons sei maßgeblich französisch geprägt, sagen die einen, während die anderen ihre Kultur bis zu den Phöniziern zurückverfolgen, die 3000 v. Chr. das »gelobte Land« Kanaan besiedelten, zu dem auch der Libanon gehörte. Der Weinbau geht auf das semitische Volk zurück, ist vermutlich aber noch viel älter. Der Libanon ist das einzige Land in der arabischen Welt, in dem der Weinbau bis heute eine wichtige wirtschaftliche und kulturelle Rolle spielt, was auch damit zu tun hat, dass der Anteil der christlichen Bevölkerung nirgendwo im Nahen Osten höher ist. Über 50 Prozent sollen es sein. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die letzte Volkszählung ist fast 90 Jahre her.
Was ihm nachhaltig schadete, war der Bürgerkrieg
Weil die Region heute untrennbar mit dem Islam verbunden ist, fremdeln viele Libanesen mit einer arabischen Identität. Während Wein in Arabien als Elixier galt, wurde er in der Zeit des Osmanischen Reiches in vielen Bereichen immerhin geduldet. Was ihm nachhaltig schadete, war der Bürgerkrieg. Fast 20 Jahre dauerte das Morden von Christen und Muslimen, dessen Sinn sich am Ende niemandem mehr ernsthaft erschließen wollte und 100.000 Menschenleben forderte.
Hochar bewies gewieften Geschäftssinn
Chateau Musar trotzte diesem Irrsinn und wurde auch darüber zur Legende. Der Franzose Gaston Hochar bewies gewieften Geschäftssinn, als er 1930 seine Karriere als Weinmacher im Libanon begann. Zu dieser Zeit stand der Libanon unter dem Mandat Frankreichs – und seinem Militär, dessen hohen Ränge guten Wein zu schätzen wussten, an den zu gelangen aber sehr schwierig war. Mit der Gründung von Chateau Musar schloss Hochar diese Lücke und wurde zum Wein-Caterer der vinophilen Franzosen im Libanon. Seine Weine verkaufte er nicht etwa in Fässern, wie es damals auch in Frankreich noch üblich war, sondern füllte sie als Chateau Musar von Anfang an auf Flaschen ab.
Mit der Gründung von Chateau Musar schloss Hochar diese Lücke und wurde zum Wein-Caterer der vinophilen Franzosen im Libanon.
Für sein Château wählte Hochar einen Ort auf rund 1000 Höhemetern in christlichem Gebiet, ungefähr 30 Kilometer nördlich von Beirut oberhalb der Ortschaft Ghazir. Hochars Weinberge indes lagen im Bekaa, rund 80 Kilometer vom Weingut entfernt. Mit der Unabhängigkeit Libanons wurden die Entfernungen dorthin nicht kürzer, mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 aber deutlich beschwerlicher. 1976 blies das Weingut die gesamte Ernte wegen einer angekündigten Blockade in der Bekaa-Ebene ab. Die Blockade kam.
»Die Oxidation nehmen wir dabei gerne in Kauf«
Es sollte das einzige Jahr während des Bürgerkriegs ohne einen Chateau Musar bleiben. Bis zum heutigen Tage werden die Trauben von Bekaa in offenen Trucks bis zum Weingut gefahren. »Die Oxidation nehmen wir dabei gerne in Kauf«, sagt Gaston Hochar, der heute gemeinsam mit seinem Bruder Marc die Geschäfte von Chateau Musar führt. Die Weine sind nicht nur berühmt und berüchtigt, weil sie ein unglaubliches Reifepotenzial, sondern auch einen ganz eigenen Geschmack besitzen, den zu beschreiben eigentlich eine Unmöglichkeit ist.
Keine »Alte« und keine »Neue« Welt – eine »Musar-Welt«
Wir haben es auch schon mit Edelstahl versucht, doch das Ergebnis war nicht dasselbe.Gaston Hochar
Seit seinen Anfängen besteht ein roter Chateau Musar aus Cabernet Sauvignon, Cinsault und Carignan und ist dennoch stets ein Wein, der seine Rebsorten niemals so widerspiegelt, wie man es gemeinhin erwarten würde. Nie ist er üppig oder zu reif, seine Säure stets von köstlichem Belang. Ein Wein, dessen Herkunft über seinen Varietäten zu stehen scheint. Keine »Alte« und keine »Neue«, eine »Musar-Welt«. Dabei spielen viele Dinge zusammen. Der robuste Transport der Trauben hat damit ebenso zu tun, wie der Fasskeller, in dem die Luftfeuchtigkeit an diesem heißen Augusttag fast 90 Prozent betragen muss. Auf über 1000 Metern von einem Keller zu sprechen, muss ohnehin relativ bleiben.
Nach vier Jahren Flaschenreife wird er zum Verkauf freigegeben
Jeder Wein reift reinsortig zwei Jahre in gebrauchten Barriques, bevor sich die fertige Cuvée weitere zwölf Monate in Betontanks verfeinern darf. »Wir haben es auch schon mit Edelstahl versucht, doch das Ergebnis war nicht dasselbe«, sagt Hochar. Beton passe zu einem Musar eben besser als Edelstahl. Nach vier Jahren Flaschenreife wird er zum Verkauf freigegeben. Hochar lässt einen roten 1971er Musar aus einer halben Flasche öffnen. Natürlich ist der Wein reif, aber er besitzt einen so lebendigen Kern, dass sich einem die Nackenhaare kräuseln.
Es braucht nicht viele Vokabeln, um eine Delikatesse zu beschreiben. Meistens ist es sogar umgekehrt.
Der Weinbau ist während des Bürgerkriegs in der Bekaa-Ebene fast, im Gebirge vollständig zum Erliegen gekommen. Jetzt erholt er sich auch dort langsam wieder. Und mit ihm seine autochthonen Sorten.»Bei unserem weißen Chateau Musar arbeiten wir ausschließlich mit den heimischen Sorten Obaideh und Merwah«, sagt Hochar. Das allerdings seien Varietäten, die nur im Gebirge jene Frische bewahren, die es braucht, um aus ihnen guten Wein zu bereiten. »Um die Säure zu halten, brauchen wir die Höhe«, sagt Hochar, »Obaideh und Merwah wachsen bei uns auf bis zu 1500 Metern.« 2009 ist der aktuelle Jahrgang. Musar lancierte ihn im letzten Jahr auf den Markt. Ein alchimistisches Elixier, das honigsüße mit frischwürzigen Attributen zu einem zauberhaften Trunk vereint. Es braucht nicht viele Vokabeln, um eine Delikatesse zu beschreiben. Meistens ist es sogar umgekehrt.
Wer ist dieses kleine Land und welcher Wein sein ureigener?
Der Libanon zählt zu den ältesten weinbaureibenden Ländern der Welt. Doch sein Fingerabdruck scheint fortwährend zu verschwimmen. Wer ist dieses kleine Land und welcher Wein sein ureigener? Im Libanon scheint Bekaa eine Konstante zu sein. In Baalbek, unweit der fruchtbaren Ebene, begannen die Römer 15 v. Chr. eine gigantische Tempelanlage zu errichten, deren Arbeiten bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. andauern sollten. Dass der Wein eine zentrale Rolle zu dieser Zeit spielte, lässt sich noch heute bestaunen: Der Bacchus-Tempel gehört zu den größten und besterhaltenen Heiligtümern der Römischen Epoche weltweit.
Welcher Art Wein die Römer und noch weit früher die Phönizier kelterten, ist nicht überliefert. Libanons Weinbau-Biographie hat ebenso viele Brüche wie die seines Volkes. Fünfmal am Tag tönen die Salǡh heute über das weitläufige Tempel-Gelände. Baalbeks Bevölkerung ist zum größten Teil muslimisch. Dass die schiitische Hisbollah hier nicht nur das Sagen, sondern auch ihre Merch-Zentrale hat, merkt man recht schnell, wen alle paar Meter T-Shirts, Flaggen und Kappen mit der emporgestreckten Kalaschnikow im Logo von Händlern feilgeboten werden.
Und so ist es wieder ein Paradoxon, das den Libanon prägt
Kaffeetassen mit dem Abbild ihres Generalsekretärs gibt es freilich auch. Hassan Nasrallah ist in Baalbek omnipräsent. Und so ist es wieder ein Paradoxon, das den Libanon prägt, ihn eins in seiner Uneinigkeit macht, wenn an jenen Stätten, die Libanons Weinkultur einst mitbegründeten, der Weingenuss heute keine Rolle mehr spielt, sein größtes Anbaugebiet aber genau hier liegt: in der fruchtbaren Bekaa-Ebene. Der Libanon ist eine bipolare Schönheit.
Die Recherchereise wurde von schöner saufen.com iniitiert und von Veranstaltern und Weingütern unterstützt.