VERSCHIEDENE GRÜNDE
Da mögen sich neue Vereinigungen gründen und wieder lösen wie Löss an einem Weinberg. Sie sind nicht zu viel zu gebrauchen, wenn nicht miteinander gesprochen wird
Im Nachhinein ist man immer klüger, womit auch sogenannte glückliche Fügungen gemeint sein können, deren Sinnhaftigkeit sich einem aber eben erst sehr viel später erschließen. Wahre Geschichten entstehen so, manchmal auch Märchen. Christinan Runkel jedenfalls wollte beruflich mit dem elterlichen Weingut Bischel anfangs nichts am Hut haben und begann nach dem Abitur ein, ja, genau: Jura-Studium. In dieser Zeit, um den Millenniumwechsel, hatte der Weinbau in Rheinhessen schon deutlich an Fahrt aufgenommen und sorgte vor allem mit einigen trockenen Rieslingen nicht nur in Deutschland für Furore. Als sich im größten Anbaugebiet des Landes gerade eine kleine Schar qualitätsvernarrter Winzer anschickte, das ramponierte Image aus Masse ohne Klasse gründlich zu revolutionieren, verirrte sich Christian in die Hörsäle der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Statt den Aufschwung seiner Weinheimat mitzugestalten, büffelte er Kapitalmarktrecht, Verfahrensrecht, Kulturrecht, Medienrecht und derlei vertrackte Theorie mehr.
Das ramponierte Image aus Masse ohne Klasse wurde gründlich revolutioniert
Aus der historischen Perspektive betrachtet, konnte das nicht gutgehen. Aber aus der hat man ja immer gut reden. Eben, und darum geht die Geschichte flugs weiter: Sein zwei Jahre jüngerer Bruder Matthias muss die unglückliche Episode seines Bruders geahnt haben, vielleicht hatte der seine eigene Zukunft aber auch einfach viel klarer vor Augen. Matthias lernte das Winzerhandwerk sofort nach seiner mittleren Reife unter anderem in Rheinhessens Wein-Epizentrum bei Klaus Keller in Flörsheim-Dalsheim und pilgerte danach schnurstracks an die Fachhochschule in Geisenheim, wo er das Önologie-Studium ebenso lässig anging wie später meisterte. Sein Bruder wurde derweil peu à peu von der Begeisterung für Wein erfasst, während ihn jene für die Rechtswissenschaften verließ, die er – und das gesteht er heute gerne ein – auch nie wirklich besaß. Weil man im Nachhinein immer klüger ist, ließ sich Christian bei Praktika auf Weingütern in Südafrika und Australien noch etwas Zeit mit seiner endgültigen Entscheidung.
Sein Bruder wurde derweil peu à peu von der Begeisterung erfasst
Als auch er schließlich sein Studium in Geisenheim erfolgreich beendete, wurde die Sache dann auch für ihn endlich ernst. Die Renaissance Rheinhessens beschränkte sich zu dieser Zeit noch fast ausschließlich auf die südlichen Weinberge im Wonnegau, deren beste Rieslinge sich Anfang der 2000er Jahre bereits fest in der Champions League der Weinwelt etabliert hatten. Die Runkels aber waren im Norden der Region zuhause. Im Fahrwasser des Erfolgs ließ sich dort nicht einfach so mitschwimmen: Am Bereich Bingen floss es nämlich schlicht vorbei. Ab 2006 gewannen ihre Weine dennoch an Aufmerksamkeit. Auch außerhalb ihrer kleinen Heimat Appenheim hörte man immer häufiger vom Weingut Bischel, das so heißt, weil es von ihrer Mutter, geborene Bischel, in die Familie Runkel eingebracht wurde und nun von den beiden Söhnen Schritt für Schritt und Jahr für Jahr auf die Erfolgsspur gebracht wurde.
Die Runkels waren im Norden der Region zuhause
Dabei spielte dem Geschwisterpaar sicher auch ihr Hausberg Hundertgulden in die Karten, der heute als gemeinsamer Nenner und Qualitätsgarant der Appenheimer Winzer gelten darf. Dass die extrem kalkreiche Lage nach etlichen Jahren aus ihrem Tiefschlaf geweckt wurde, ist dann nur die Fortsetzung einer Wein-Renaissance in Rheinhessen, die einst im Wonnegau einsetzte und sich dort durchsetze, wo bedingungslos auf Qualität gesetzt wurde. Dabei kommt den Runkel-Brüdern das zunehmend wärmere Klima der letzten Jahre durchaus zupass, denn im nördlichen Rheinhessen reifen die Trauben langsamer und später aus, bleiben ihre Säuren länger frisch und die Aromen klarfruchtig. Mit einer rund 20 Hektar großen bestockten Rebfläche ist die Lage vor allem für rheinhessische Verhältnisse ziemlich klein, weshalb die Runkels und ihre Kollegen sich darauf geeinigt haben, den Hundertgulden vorzugsweise für Riesling zu reservieren.
Intuitiv und gewissenhaft
Weil er ihren Weinen unverwechselbaren Charakter und Eigenständigkeit verleiht, steht der Hundertgulden beim Weingut Bischel ausschließlich als bester trockener Riesling auf der Karte. Warum das so ist, schmecken Christian und Matthias mit jedem Jahr aufs Neue. Bei den Bischels ergibt sich die anfangs erwähnte glückliche Fügung auch aus dem Umstand, dass Matthias seiner Arbeit im Weinberg und Keller ebenso intuitiv wie gewissenhaft nachgeht. Ohne sie öffentlich zu dokumentieren, das liegt in seiner Natur. Genauso wie es in der seines Bruders Christian liegt, die Dinge auch aus anderen Perspektiven zu betrachten – und zu kommunizieren. Eine Wein-Heimat voller Überraschungen. Denn klüger ist man ja auch im Nachhinein nicht immer.
Der Binger Scharlachberg gilt als einer der wertvollsten Weinberge Rheinhessens. Sein Grund besteht zum großen Teil aus Quarzit. Auf ihm entstehen Weine für eine lange Zeit.
Da nimmt es dann auch gar nicht wunder, dass den Brüdern 2016 weitere wunderliche Dinge passiert sind, die sie am Ende zwar mit eingestielt haben, aber sich vermutlich immer noch darüber wundern können, wie sie zustande gekommen sind. Es hat auch mit Sprache zu tun. Der gegenseitige Austausch, der in manchen Weinbauregionen nicht einmal innerhalb einer Gemeinde funktioniert, funzte zwischen dem Weingut Wagner-Stempel und dem Weingut Bischel auch nicht sofort, sondern ist Ergebnis vieler ehrlicher Gespräche, einer Freundschaft eben. Da mögen sich neue Vereinigungen gründen und wieder lösen wie Löss an einem Weinberg. Sie sind nicht zu viel zu gebrauchen, wenn nicht miteinander gesprochen wird. Wenn Daniel Wagner heute einen Teil seiner Premium-Lage Heerkretz mit der der Runkels vom Binger Scharlachberg tauscht, ist Marketing das Ergebnis eines konstruktiven Austauschs und hat zunächst einmal nichts mit dem neuen Logo Rheinhessens zu tun, das sich »Maxime Herkunft« nennt und die wichtigsten Weingüter des größten deutschen Anbaugebiets in einem neuen Verein miteinander verbindet.
Sprache erzeugt Wirklichkeit
Doch solch eine Ankündigung braucht auch Aktion, braucht Inhalt: Die Runkel-Brüder und Daniel Wagner sind nun gewissermaßen in Vorleistung getreten. Denn Rheinhessen ist reich an Terroir. Lebensweltlich haben das dort bislang noch viel zu wenige Winzer gemacht. Das Weingut Bischel und das Weingut Wagner Stempel sind nun auch nicht die ersten mit einem Projekt, bei dem Riesling-Trauben untereinander ausgetauscht und in unterschiedlichen Provenienzen ausgebaut werden, in Rheinhessen jedoch ist es ein außergewöhnliches Projekt. Denn auch die Weinbergsarbeiten werden von den jeweiligen Weingütern übernommen. Wo dem eigenen Grund in Rheinhessen lange Zeit keine große Bedeutung beigemessen wurde, zeigt das einen Paradigmenwechsel an. Winzer, die zeigen möchten, dass hinter ihrer Expertise im Ausbau der Weine auch unter der Humusschicht ein wertvolles Terroir steckt, das es in aller Feinheit noch zu entdecken gilt. Die ersten Weine aus dem Scharlachberg vom Weingut Wagner-Stempel und denen aus der Heerkretz vom Weingut Bischel stehen ab September zur Verkostung bereit. Wir sind gespannt. Und neugierig auf das, was uns da aus dem tiefen Grund Rheinhessens in Zukunft noch so ins Glas kommt.
Die Heerkretz in Siefersheim gehört zu den höchsten und kühlsten Weinlagen in Rheinhessen. Ihre Weine sind legendär, doch werden bislang nur von einem Autoren exzellent geschrieben. Dabei hat sie Platz für viele gute Geschichten.