JEDES JAHR EIN KLEINES KUNSTWERK
Gemessen an ihren jungen Jahren, haben die Brüder Tobias und Björn Knewitz bereits einen immensen Bekanntheitsgrad erreicht, was wiederum die ausgebuffte Sprache von Tobias im Interview erklären mag
Der königliche Regierungs- und Departmentsrath für die Landeskultur und Statistik zu Trier, Otto Beck, gab 1869 dringliche Empfehlungen für die Herstellung von edlen Wein heraus. Darin heißt es unter anderem, dass »Künsteleien am Weine« zu vermeiden seien. Klingt zeitgemäß, nicht?
Zeitgemäß ist in vielen Bereichen unseres heutigen Lebens eigentlich eine andere Herangehensweise: Die der kompletten Kontrolle und Beherrschung, dem ständigen Einfluss auf einen natürlichen Ablauf. Das ist zwar wirtschaftlich, führt aber im Weinbau zu Konformität und Monotonie. In der Folge brachten neue önologische Verfahren zwar häufig langweilige Weine hervor, die aber fanden dennoch Anklang in der Bevölkerung. Unter anderem weil sie kostengünstiger zu erzeugen und verlässlicher im Geschmack waren. Doch das Kulturgut Wein als Abbild seiner Herkunft, seines Jahrgangs und seines Winzers ging dabei zunehmend verloren. Allerdings lässt sich nun bereits seit einigen Jahren auch ein Umdenken beobachten. Die Empfehlungen des Herrn Beck aus dem 19. Jahrhunderts sind in meinen Augen vielmehr wieder zeitgemäß. Zum Glück entwickelt sich der Trend zu eigenständigen und charakterstarken Weinen, die gerne auch Ecken und Kanten, vor allem aber einen individuellen Geschmack haben dürfen.
Kann ein Wein ein täuschendes Abbild der Natur hervorbringen, Kunst sein?
Als Spiegel der Jahreszeiten kann ein Wein schon ein Kunstwerk der Natur sein, kreiert durch die Rebsorte, den Jahrgang und den Boden. Er erzählt die Geschichte eines ganzen Jahres. Vom Zeitpunkt des Austriebs über die Blüte bis zur Lese. Die Physiologie der Rebe ist an die Natur gebunden, und jeder neue Jahrgang bildet sich in den Weinen als Kunstwerk ab. Nahezu perfekt das eine Mal, weniger gelungen ein anderes Mal. Hitze, Kälte, Regen oder Wind, all das, was die Natur in einem Jahr mit sich bringt, soll sich später in einem Wein auch wiederfinden lassen, ihn einzigartig machen. Ohne Herkunft kein Kunstwerk. Deshalb sind auch die Kalkböden so wichtig für uns. Wir versuchen, das Geheimnis unseres Terroirs in unseren Weinen zu verstehen, es zu schmecken. Wein, der maßgeblich in der der Natur entsteht und nicht im Keller gemacht ist.
Ist der Wein stimmig, kann er schon auf eigenen Beinen stehen?Tobias Knewitz
Wie weit gehen Ihre Interventionen bei der Arbeit im Keller?
Grundsätzlich ist es uns sehr wichtig, bei der Herstellung eines Weines so wenig wie möglich zu intervenieren. Beobachten und Begleiten sind zumindest im Keller angesagt. Die Grundlage, die uns dies ermöglicht, liefert der Weinberg. Jeder Winzer sollte seine Weinberge genau kennen und ihr jeweiliges Potenzial richtig einschätzen. Das funktioniert nicht von heute auf morgen, aber nach ein paar Jahrgängen wird deutlich, welcher Weinberg kontinuierlich hohe Qualitäten liefert. Auf Basis dieses Wissens formt sich für jede unserer Parzellen ein individuelles Ziel: von der Basis bis zum großen Lagenwein. Durch die Vergärung mit traubeneigenen Hefen, die von Lage, Mikroklima und Traubenreife geprägt sind, entsteht ein unverwechselbarer Geschmack, der die Herkunft und den Jahrgang widerspiegelt. Dabei spielt auch der Kontakt mit der Hefe eine enorm wichtige Rolle. Sie stellt für uns die Mutter des Weines dar. Sie zieht den Wein groß, wandelt dabei Zucker in Alkohol um, bildet Aromen, gibt dem Wein Schutz, wirkt reduzierend und konservierend. Deshalb ist die Trennung des Weines von seiner Hefe für uns immer ein sensibler Zeitpunkt. Ist der Wein stimmig, kann er schon auf eigenen Beinen stehen? Hier ist viel Geduld gefragt.
Und wie steht es bei der Arbeit im Weinberg um den Einfluss des Winzers?
Um Charakter und Originalität zu bewahren, versuchen wir auf unnötige Eingriffe zu verzichten. Doch hierfür müssen einige Faktoren erfüllt werden. Das einzige, was einen Wein wirklich beeinflussen sollte, ist das Zusammenspiel der Rebsorte, des Jahrgangs, Sonne und Mond, Wind und Wetter, der Bodenart, die Hangneigung sowie die Pflege durch den Winzer. Was grundsätzlich in allen Weinbergen vorherrschen sollte, ist ein artenreiches Ökosystem. Dazu gehört eine optimale Begrünung mit ganzjährigem Blütenangebot, was wiederum das Ansiedeln von tierischen Lebewesen fördert. Dies dient nicht nur der Bodenlockerung, sondern auch der natürlichen Regulation von Schädlingen. Das Ökosystem bleibt intakt. Durch die Schaffung dieses Gleichgewichts ist ein weiteres Eingreifen, sowohl im Weinberg als auch im Keller, weitestgehend nicht erforderlich.
Klingt ja fast so, als würde sich die Lese dann von ganz allein machen
Natürlich tut sie das nicht. Doch ein weiterer Faktor, so wenig wie möglich in die Entwicklung eines Weines einzugreifen, ist der Zeitpunkt der Traubenlese. Entscheidend hierfür ist für uns der Geschmack der Trauben. Das Geschmacksbild sollte auch hier möglichst klar und ausgeglichen sein. Wie hart ist die Beerenhaut, wie löst sie sich vom Fruchtfleisch? Wie schmecken die Kerne? Wie steht es mit der Süße und der Säure? All dieses Wissen und natürlich viel Bauchgefühl sind letztendlich für den optimalen Lesezeitpunkt entscheidend. Ist dieser genau getroffen, kann man sich im Keller die meiste Arbeit sparen.
Hundertgulden und Eselspfad zählen zu Ihren wertvollsten Lagen, doch große Strahlkraft besitzen sie nicht
Eine Lage ist dann berühmt, wenn ein Winzer, dessen Name eng mit der Lage verbunden ist, diese über einen sehr langen Zeitraum erfolgreich bewirtschaftet. Diese Historie fehlt den Lagen Hundertgulden und Eselspfad bisweilen, oder muss wiederbelebt werden. Doch die Appenheimer Winzer haben bereits einiges geleistet, um dass Potenzial ihrer Lagen wieder besser zu nutzen und damit auch ihre Bekanntheit zu erhöhen. Der hohe Kalksteingehalt kommt uns dabei zugute, sorgt für einen eigenständigen und unverwechselbaren Stil, der so nur in Appenheim entstehen kann.
Sind Sie ein geduldiger Mensch?
Ja und nein. Was den Weinausbau angeht, bin ich definitiv geduldig. Wein ist ein Naturprodukt. Stets nach Schema F zu handeln, wäre in meinen Augen falsch. Man muss immer ein wenig ab- und zugeben, braucht Ruhe, Geduld und Fingerspitzengefühl. Dem Wein die nötige Zeit zu geben, die er braucht – gerade was die Prozesse im Weinkeller angeht, wie etwa bei der Spontangärung oder dem Feinhefelager – ist für uns von großer Bedeutung. Persönlich bin ich eher ungeduldig und würde mich als sehr ehrgeizig beschreiben. Wenn es um das Erreichen meiner Ziele geht, kann es mir eigentlich nicht schnell genug gehen. In dieser Hinsicht fällt es mir sehr schwer Geduld aufzubringen.
In den oben zitierten Empfehlungen aus dem 19. Jahrhundert wird unter »Künsteleien am Weine« unter anderem auch das Chaptalisieren geringgeschätzt, da diese Methode den Charakter eines Weins verändere. Wie stehen Sie dazu?
Chaptalisieren sowie andere Methoden verändern das Grundgerüst eines Weines. Dazu zählen Konzentration, Aromatik oder innere Dichte, die beispielsweise durch das Anreichern verschoben werden und nicht mehr ihren natürlichen Gegebenheiten entsprechen. Unser Ziel hingegen besteht darin, die Rebsorte und die Herkunft Appenheim klar herauszustellen. Wir wollen die Natur und den Boden im Glas widerspiegeln, das Typische eines Jahrgangs aufzeigen. Das schließt jegliche Künstelei am Wein aus.
Fotos Weingut Knewitz