IMMER MIT DER RUHE

IMMER MIT DER RUHE

Eine Geisenheimer Feldstudie verglich die Qualitäten von alten und jungen Reben. Über das Ergebnis gehen die Meinungen auseinander

Professor Stoll leitet an der Hochschule Geisenheim das Institut für allgemeinen und ökologischen Weinbau. Für aufsehenerregende Versuche ist die Hochschule bekannt, manche brachten neue Erkenntnisse, andere wurden in der Zwischenzeit widerlegt. Auch die Daniel Düsentriebe des Weinbaus dürfen sich mal irren, schließlich ist »Trial and Error« ein wichtiger Bestandteil der Forschung. Seinem Vortrag schickte Stoll eine launige Einleitung über phonetische Unterschiede beim englischen Wörtchen »vine« voraus, das sich je nach Artikulation auch semantisch verändert. Wo der Deutsche also »vine« meint, spricht er gerne /‘wain/ aus. Exakt so wabert dem Angelsachsen dann auch mal das »V« beim »Volkswagen« über die Lippen, dessen Bedeutung jedoch weitestgehend erhalten bleibt. Professor Stoll hört man gerne zu. Der Mann hat Humor und strahlt einen souveränen Gleichmut aus.

Zum dritten Mal lud der VDP Rheingau Ende Mai zum »Internationalen Riesling Symposium« ein. Das Kloster Eberbach bot dabei nicht allein eine historisch eindrucksvolle Kulisse, auch seine seit Jahrhunderten wartungsfreie Klimaanlage aus meterdicken Gemäuern funktionierte gewohnt tadellos. Die hochkarätig besetzten Verkostungen fanden samt und sonders im Laienrefektorium und bei konstant lauen Temperaturen statt. Während draußen die Hitze immer schwerer wog. Solch klösterliche Frische hätte man sich zuweilen auch bei den Vorlesungen im Bibliothekssaal gewünscht, bei dessen Bau man ein paar hundert Jahre später bereits deutlich sparsamer mit den Steinen umging.

Exzellente Voraussetzungen

Für die hochkarätigen Verkostungen herrschten in den Gemäuern von Kloster Eberbach beste Bedingungen. Wer das dennoch überprüfen wollte, brauchte nur vor die Tür zu gehen, wo feuchte Hitze stündlich schwerer wog.

Die Hitze machte es sich gemütlich, als die Riesling-Fachleute anschwitzten. Aus Neuseeland, Australien, den U.S.A., ja, aus der ganzen Welt waren sie angereist, nichtahnend, dass sie neben in brütender Hitze obendrein auch noch auf einem Pulverfass saßen. Dessen Zündschnur hielt Professor Stoll fest in seiner Hand. Dass Tumult und Panik bis zum Schluss ausblieben, ist seiner kontemplativen Art zu verdanken, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Auch nicht, nachdem er das Fass schließlich hat hochgehen lassen: »Das Alter der Reben hat keinen signifikanten Einfluss auf die Qualität des Weins.« Diesem erschütternden Fazit ging die Erläuterung eines Versuchs voraus, bei dem kleine Versuchsanlagen aus den Pflanzjahren 1971, 1995 und 2012 mit identischen Klonen und Unterlagen über einen längeren Zeitraum miteinander verglichen wurden.

Während sich die übrige Weinwelt ehrfürchtig vor uralten Reben verneigt, von der außerordentlichen Güte dieser Weine schwärmt, deren mickrige Erträge ihre Winzer nicht nur allzu gerne in Kauf nehmen, sondern dem Herrgott ewig dafür dankbar sind, fand das Team um Professor Stoll keine einzige dieser berüchtigten Qualitäten wieder: weder bei den Reben noch in den Weinen. Selbst bei den rund 45 Jahren alten Knochen blieb der Ertrag erstaunlich stabil, schrumpfte maßgeblich nur deshalb mit den Jahren etwas im Durchschnitt, weil durch Krankheit ausgefallene Stöcke nicht ersetzt wurden. Dass die sensorischen Prüfungen der Weine bei gleichen Geschmacks-Parametern auch noch vergleichbare Ausprägungen hervorbrachten, ließ dann zum ersten Mal aufhorchen. Eine selbsterfüllende Prophezeiung?

Unterm Strich blieb den »Alten Reben« ein einziger lächerlicher Vorteil gegenüber den jüngeren Generationen: Mit Trockenstress kamen sie besser zurecht. Entsprechende Symptome entwickelten sie später als jüngere Reben, was sicherlich ihren weiter verzweigten Wurzelsystemen zu verdanken ist. Als USP taugt dieser Umstand aber eher nicht. In dem ohnehin schon aufgeheizten Raum entluden sich bei etlichen Winzern nun brennende Fragen wie gewaltige Blitze.

Regelrecht empört waren da vor allem einige Winzer unter den Zuhörern. Sind all ihre Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten am Ende für die Katz?

Schließlich stellten Stolls Ergebnisse die Existenzberechtigung einiger der wertvollsten Rieslinge infrage, deren Delikatesse untrennbar mit dem Alter der Reben zusammenhängt. Zumindest dachte man so. Bis jetzt. Unzählige Notizen müssten umgeschrieben werden, weil sich selbst die sensibelsten Verkoster von einer Illusion haben blenden lassen. Da wurden alte, nur mühsam zu bewirtschaftende Parzellen aufwendig in Schuss gehalten, nur damit an diesem Tag herauskommt: Die alten Knochen haben Winzern und Connaisseurs einen üblen Streich gespielt. Doch die Sache hat einen Haken: Lässt sich die These »Wein von alten Reben ergibt den besseren Wein« tatsächlich anhand dieser kleinen empirischen Feldstudie widerlegen?

Der Geisenheimer Versuchsaufbau ist eine Miniatur mit beinahe klinischer Überwachung. Gleichsam einer Intensivstation, die mit einem wirklich-en alten Weinberg nichts gemein haben kann. Komplexer organisiert, ist seine Historie bisweilen gar nicht mehr nachvollziehbar, denn nachgepflanzt wurde meist mit dem Material aus dem eigenen Weinberg. In Geisenheim kamen bei allen drei Pflanzungen dieselben hauseigenen Klone mit identischen Unterlagen zum Einsatz. Große Überraschungen durfte man da nicht erwarten. Genetische Vielfalt gab es nie. Die Geisenheimer Klone wurden bei ihrer Züchtung auf bestimmte Leistungsmerkmale wie Ertrag, Mostgewicht oder Säure getrimmt. Betrachtet man hingegen etwa einen Weinberg mit wurzelechten alten Reben an der Mosel, sieht die Sache schon ganz anders – und vor allem bunter aus. 50- oder gar 100-jährige Rebstöcke haben sich ihrer Umwelt ganz anders angepasst, sich in der Vergangenheit womöglich auch den ein oder anderen Virus eingefangen, der aber keine lebensbedrohliche Krankheit zur Folge hatte.

Wurzelechte Reben im Maximiner Herrenberg

Die genetische Vielfalt in solch seltenen alten Anlagen ist hoch. Anders als in der Geisenheimer Feldstudie lassen sich ihre Historien im Einzelnen gar nicht mehr zurückverfolgen.

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass die ältesten Stöcke mit den wertvollsten Trauben und den kleinsten Erträgen häufig virusverseucht sind. Das Immunsystem der Pflanze hält die Angreifer womöglich in Schach, was zu weniger Wachstum und kleineren Beeren führt. Die meisten Pflanzen kommen gut damit zurecht. Solcherlei Unwägbarkeiten konnte der Geisenheimer Feldversuch nicht bereithalten. Und er hält uns noch eines vor Augen: Die Verwendung von einseitigem Klonmaterial geht auf Kosten der Vielfalt im Weinberg und bringt in der Folge schlechterdings auch generische Weine hervor. Professor Stoll und sein Team haben das in ihrer sensorischen Prüfung belegt. Alle drei Weine schmeckten sehr ähnlich. Nur haben sie die sensorischen Prüfungen anders interpretiert, wonach alle drei Weine von vergleichbarer geschmacklicher Qualität seien.

Als Monokultur in einer Monokultur stehen solche Anlagen in letzter Zeit immer häufiger im Verdacht, auch anfälliger für gefährliche Viruskrankheiten wie ESCA zu sein. So wollen Winzer mit wurzelechten Anlagen beobachtet haben, dass ihre ältesten Stöcke weniger von diesen Krankheiten betroffen sind als spätere Auspflanzungen mit einseitigem Klonmaterial. Wie außerordentlich anders und delikat ein Wein aus »Alten Reben« schmecken kann, belegt der Riesling »1896« vom Weingut Carl Loewen aus Leiwen an der Mosel. Würde man aus den Trauben von hundert Stöcken dieser wurzelechten Anlage aus dem Jahre 1896 im Maximiner Herrenberg jeweils einen Wein und auf gleiche Art und Weise bereiten, gutmöglich gliche am Ende keiner dem anderen.

Womit die Geisenheimer Resultate freilich nicht widerlegt werden, aber an ihre Grenzen stoßen würden, wenn eine objektive Feldstudie einen lebensweltlichen Weinberg niemals zu simulieren imstande ist. Was letzten Endes auch mit Professor Stoll und seinem Team versöhnlich stimmt, denn dass sich nun hinter jeder Flasche mit der Aufschrift »Alte Reben« ein delikater Wein verbirgt, darf ebenfalls mit Fug und Recht bezweifelt werden.

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