DER RECKE IM TIGERFELL

DER RECKE IM TIGERFELL

John Wurdeman kam als Amerikaner zur Welt und hat in Georgien seine Wurzeln gefunden. Ein Gespräch mit einem Maler, Winzer und mutmaßlich Wiedergeborenen


Wie kamen Sie nach Georgien?

Meine erste Begegnung mit der Kultur dieses Landes war eine CD mit georgischen polyphonischen Gesängen, die ich 1991 in Virginia kaufte. Ich war 15 Jahre alt und traf plötzlich auf eine Musik, die mich tief berührte. Ich wollte mehr über dieses Land erfahren, doch die englischsprachigen Quellen über Georgien waren damals spärlich, dennoch verschlang ich alles Material, das ich über dieses Land in die Finger bekommen konnte. Unter anderem auch»Der Recke im Tigerfell« von Shota Rustaveli, ein Epos aus dem 12. Jahrhundert über Liebe und Freundschaft. Als ich Georgien 1995 zum ersten Mal bereiste, studierte ich an der Kunsthochschule Surikow in Moskau. Meine georgische Gastfamilie lud mich zu einem prächtigen Mahl ein: Der Tisch bog sich unter der Last der vielen Köstlichkeiten aus Sommergemüsen und orangenen Weinen. Nach vielen Trinksprüchen und inmitten dieser unvergesslichen Feier traten Sänger auf die Bühne. Ich erkannte sie sofort. Es waren genau jene Musiker, die auch auf meiner CD zu hören waren. Von da an wusste ich, dass meine Beziehung zu diesem Land eine ganz besondere sein würde.

Die Musik hat Sie also in dieses Land geführt?

Das könnte man meinen. Ein Jahr später schon kehrte ich für Recherchen nach Georgien zurück. Kreativität, so mein damaliger Gedanke, blüht erst inmitten von Traditionen auf und nicht indem man sie zerstört. Als Motiv für mein Bild wählte ich ein Fest nach der Weinlese, bei dem die Generationen einer Familie zusammenkommen, um gemeinsam zu feiern, zu singen und zu tanzen. Wein, der Reichtum der Natur, die daraus über tausende Jahre gewachsenen Traditionen, die Menschen, die sie bis heute bewahren und so mit ihren Vorfahren in Kontakt bleiben, das alles waren Mosaiksteinchen, die mich an dem Motiv für dieses Bild faszinierten. Noch im gleichen Jahr kaufte ich ein Haus in Sighnaghi. Doch bevor ich dort einzog, musste ich mein Bild in Moskau vollenden, wozu ich zwei Jahre benötigte. 1998 schließlich zog ich endgültig nach Sighnaghi, malte und sammelte polyphonische Lieder. Dort lernte ich auch meine jetzige Frau kennen, Ketevan Mindorashvili, eine georgische Sängerin.

Da lag ihr erster Wein, den Sie erst 2007 keltern sollten, aber noch in weiter Ferne

Über die Gründung eines Weinguts dachten wir tatsächlich erst sehr viel später nach. Das war 2006. Es sollte die gleiche Aufgabe erfüllen, die wir in den Gesängen und Tänzen, in den Traditionen Georgiens fanden. Dabei schwebte uns ein Wein vor, der das Land und seine uralte Kultur so authentisch wie möglich widerspiegeln sollte. Biologische Bewirtschaftung der Weinberge, Verwendung von ausschließlich autochthonen Rebsorten und traditionellen georgischen Ausbaumethoden waren dabei unumgänglich. Unsere Idee eines Weines war es, der Welt ein Fenster zur Seele Georgiens zu öffnen.

»Dakeneba« bedeutet im Georgischen gleichermaßen die Erziehung von Wein und Kindern, das geduldige Abwarten, bis sie bereit für ein unabhängiges Leben sind.John Wurdeman

Der Wein als Mittler zwischen Mensch und Herkunft, als symbiotisches Prinzip? 

Vielleicht. Es ist ein ganzheitlicher Prozess, indem uns die Erde die Trauben schenkt. Die Qvevris wiederum sind in dieser Erde eingelassen, worin die sanft gequetschten Trauben zurückgegeben werden, und solange im Schoss der Erde verbleiben, bis der Wein auf eigenen Beinen stehen kann »Dakeneba« bedeutet im Georgischen gleichermaßen die Erziehung von Wein und Kindern, das geduldige abwarten, bis sie bereit für ein unabhängiges Leben sind. Die Erde, auf denen die Reben gedeihen, stellen die Temperatur und das ideale Behältnis für eine natürliche Gärung bereit. Die Maische folgt dem gleichen Naturrhythmus wie vorher die Trauben im Weinberg. Eine holistische, völlig natürliche Methode, bei der es keinerlei externer Energie bedarf.

Welche Vorteile bieten Qvevris darüber hinaus?

Qvevris sind geschmacksneutrale Tonkrüge, die den Wein nicht mit anderen Aromen maskieren, wie das beispielsweise neue Eichenfässer tun, gleichzeitig handelt es sich aber auch nicht um einen reduktiven Ausbau wie der in Edelstahlfässern. Die bauchige Form der Qvevris erlaubt es dem Wein, sich dynamisch zu bewegen und natürlich zu klären. Wie gesagt, dabei braucht es keine externe Energie, um die Weine zu kühlen oder zu lagern. Unerlässlich sind aber Zeit und Geduld.

Dennoch verbringen einige georgische Weine nur eine kurze Zeit in den Qvevris, was zuweilen zu wenig überzeugenden Kompromissen führt 

Hier muss man differenzieren. Sicherlich hat die Popularität der Qvevris in der letzten Zeit einige kommerziell arbeitende Weingüter auf die Idee gebracht, ihre Weine nur eine kurze Zeit in den Tonkrügen zu lassen, bevor man sie im Ruckzuck-Verfahren zurechtdengelt und auf Flaschen gefüllt hat. Das jedoch sind Marketingtricks, die mit der traditionellen Methode nichts zu tun haben. Darüber hinaus muss man aber auch die unterschiedlichen klimatischen Gegebenheiten in Georgien berücksichtigen: In West-Georgien, in Imeretien sind die Säurewerte bei den weißen Sorten in der Regel hoch, während die Alkoholgradationen eher niedrig sind. Die Trauben werden hier entrappt und nur mit etwa fünf bis zehn Prozent ihrer Maische vergoren, und das auch nur über einen Zeitraum von zwei bis höchstens vier Wochen. Dennoch bleibt der abgezogene Wein bis zum Frühjahr in der Qvevri. In Kartlien, in Zentralgeorgien, wiederum sind die Werte balancierter und die Trauben können mit ihren Stielen und fast der gesamten Maische vergoren werden. Im Osten, in Kachetien, bleiben die Säurewerte der Trauben meist niedrig, doch ihr Zuckergehalt ist hoch. Die Trauben werden daher mitsamt ihren Stielen und komplett auf der Maische vergoren. Die Roten folgen einem ähnlichen Muster: wonach die Weine im Westen leichter, je weiter man aber in den Osten kommt, stets robuster ausfallen.

Am Ende ist die Qvevri ein Tongefäß, mit dem man ausschließlich die Weinqualität, aber keine antiquierte Folklore fördern sollte.John Wurdeman

Also prägen die verschiedenen Klimata und Böden Georgiens die Qvevri-Weine mehr als ihre Winzer?

Auch hier gibt es kein klares Ja oder Nein. Die Modernisten experimentieren heute auch bei ihren Qvevri-Weinen mit einem Ausbau im Barrique, während die Puristen den alten Traditionen verhaftet bleiben. Das alles ist gut, solange die Qvevri nicht als alleiniges Verkaufsargument herhalten muss. Am Ende ist die Qvevri ein Tongefäß, mit dem man ausschließlich die Weinqualität, aber keine antiquierte Folklore fördern sollte. Das Wunderbare an dieser Tradition ist ja, dass sie sich bis heute bewährt hat und bewahrt wurde. Obgleich sie bis vor gar nicht langer Zeit fast ausschließlich zur Produktion von Weinen für den Eigenbedarf genutzt wurde. Ihr kommerzieller Erfolg ist vergleichsweise jung.

Die meisten Ihrer Qvevris sind sehr alt, manche gar aus dem 19. Jahrhundert. Hat das Alter der Gefäße etwas mit der Qualität der Weine zu tun?

Alter allein garantiert noch keine bessere Qualität. Doch wir bevorzugen tatsächlich die alten Tonkrüge, da die Brenntechnik eine bessere gewesen zu sein scheint. Zudem wurde damals eine spezielle Tonmischung benutzt. Problematisch wird es, wenn solche Gefäße eine lange Zeit nicht in Gebrauch gewesen sind. In einem solchen Fall verwenden wir eine besondere Wasser-Kalkmischung zur Desinfizierung. Doch erfordert diese Arbeit viel Erfahrung und Wissen. Was auch für die Herstellung der Qvevris im Allgemeinen gilt. In Georgien gibt es heute nur noch eine Handvoll Menschen, die dieses schwierige Handwerk beherrschen.

Mit Ausnahme Ihres Qvevri-Weines aus der Sorte Kisi, der enorm frisch und jugendlich daherkommt, überwiegen bei Ihren Gewächsen Aromen von gedörrtem Obst, süßen Gewürzen und rauchigen Noten. Kann es sein, dass der Geschmack Ihrer Weine vielmehr von der Art und Weise ihrer Bereitung als von ihrer bestimmten Herkunft geprägt werden?

Es ist unsinnig, sich über Terroir zu unterhalten, wenn man die Bereitung eines Weines dabei außeracht lässt. Beide bedingen sich. Wenn wir fünf verschiedene kachetsiche Qvevri-Weine aus gleicher Varietät und Herkunft miteinander vergleichen, werden sich bestimmte aromatische Merkmale wie Trockenfrucht, Gewürze oder Gerbstoffe gewiss ähneln, dennoch werden alle Weine ihre Sorte, ihr Terroir ganz einzigartig zur Geltung bringen. Momentan arbeiten wir mit acht einheimischen Varietäten. Weitere 340 befinden sich in einem Versuchsanbau. Die ersten Ergebnisse mit diesen Sorten sind äußerst vielversprechend. Und das ist längst nicht alles: Georgien hütet einen Schatz von über 500 verschiedenen Rebsorten, der darauf wartet, gehoben zu werden! Hinzu kommen mannigfaltige Böden und unterschiedliche Klimata in Wüsten- Hochland- und Küstenregionen.

Es ist unsinnig, sich über Terroir zu unterhalten, wenn man die Bereitung eines Weines dabei außeracht lässt. Beide bedingen sich.John Wurdeman

Dennoch scheinen die wenigen Weine, die es auf den internationalen Markt schaffen doch eher einem internationalen Geschmack nachzueifern. Geht die Tradition der Qvevri-Weine nicht gerade genauso flöten wie das Handwerk der Herstellung ihrer Gefäße? 

Nicht ganz. Der Großteil der Weine aus Georgien entstammt heute wie gestern aus industrieller Produktion, der vor dem Embargo sicher an Russland losgeschlagen werden konnte. Mittlerweile haben die Ukraine, Kasachstan und China diesen weggebrochenen Markt zumindest teilweise ersetzen können. Dank der vin naturel-Bewegung stellen Qvevri-Weine aber heute einen spannenden Gegenentwurf zu konventionell bereiteten Weinen dar. Qvevri-Weine genießen bei Weinliebhabern auf der ganzen Welt mittlerweile einen hervorragenden Ruf, den sie ohne das Embargo vielleicht nicht hätten. Diese Aufmerksamkeit könnte nicht nur die Weine, sondern gar eine ganze Weinkultur retten.

»Was tun Sie«, wurde Herr K. gefragt, »wenn Sie einen Menschen lieben?« »Ich mache einen Entwurf von ihm«, sagte Herr K., »und sorge dafür, dass er ihm ähnlich wird.« »Wer? Der Entwurf?« »Nein«, sagte Herr K., »der Mensch.« Das Zitat stammt von Berthold Brecht. Wenn Sie den darin erwähnten Menschen nun durch Georgien oder georgischen Wein ersetzen, was glauben Sie?

Sicher ist meine Liebe zu diesem Land auch in dem Entwurf begründet, den ich mir von ihm gemacht habe. Doch diese Liebe ist mit den Jahren weitergewachsen. Als ich ankam, war ich eine junge Rebe, die mit den Jahren älter und reifer wurde. Meine Dankbarkeit für dieses Land und für das, was es mich lehrte, gebe ich hoffentlich an die Weine weiter.

Wurdemans Weingut heißt Pheasant’s Tears und befindet sich im Osten Georgiens, in Kachetien, dem bedeutendsten Weinanbaugebiet des Landes. Nach einer georgischen Legende sollen Fasanentränen besonders rein sein. Das Weingut bewirtschaftet eine Fläche von rund 17 Hektar, die ausschließlich mit autochthonen Rebsorten bepflanzt ist. Die Pflanzen wachsen auf mannigfachen, meist kalkgeprägten, kargen Untergründen. Alle Weine werden in traditionellen Qvevris ausgebaut. John Wurdeman kam 1975 als Sohn einer Künstlerfamilie in Santa-Fe, New Mexiko zur Welt. Von 1995 bis 1998 studierte er am renommierten Kunstinstitut Surikov in Moskau, wo er als bisher einziger Amerikaner auch seinen Abschluss machte. Seine Malerei folgt dem Stil des russischen Realismus, seine wichtigsten Motive fand er in Georgien. Wurdeman ist mit einer Georgierin verheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Die Familie lebt in Sighnaghi, einem schmucken Städtchen, das zu den wenigen wirklich liebevoll restaurierten in Georgien zählt. Wurdemans Weine gehören zu den besten des Landes.

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