POSITIONEN IM WEINBAU

POSITIONEN IM WEINBAU

Über zwei Weinwelten, die sich dennoch gefunden haben

Länge, Breite und Höhe braucht es meistens, damit es dreidimensional aussieht. Wir hatten von allem reichlich – im konkreten, plumpen und übertragenem Sinn. Alles begann an einem späten Samstagnachmittag, der sich bis in die frühen Morgenstunden des Sonntags ausrollen sollte und die Raumzeit schmelzen ließ. Es trug sich zu in Hattenheim, wo Eva Raps und Urban Kaufmann vor drei Jahren das Weingut Hans Lang übernommen haben und den Namen nun langsam ausschleichen lassen, wie es in der Medizin heißt, wenn ein Medikament langsam abgesetzt wird. Wenn man vor dem neuen Verkaufsraum von Kaufmann so steht, sieht es tatsächlich auch ein bisserl so aus: Wie ein nüchterner Kaufladen mit einem kleinen »k« als großen, roten Leuchtbuchstaben auf der Terrasse. Dass es sich um ein Weingut handelt; der Laie dürfte zunächst verunsichert sein. Der Auskenner indes weiß längst Bescheid, das Rot kommt nicht von ungefähr: Hans Lang hat sein Weingut an den Schweizer Käsemacher Urban Kaufmann verkauft, der wiederum ist mit Eva Raps liiert, die lange Zeit die Geschäftsleitung des VDP innehatte.

Jetzt hat sie die Seiten gewechselt, leitet und repräsentiert nicht mehr die Geschicke des Verbands, sondern ein Weingut als ordentliches Mitglied, steht in den Reben und hinter dem Tresen. Wein verkauft sich nicht von selbst, auch nicht als Mitglied im VDP. Die sachliche, nennen wir sie k-Linie wird auch im Verkostungsraum konsequent weitergeführt. Es gibt ausreichend Platz auch für mehrere Verkoster-Gruppen, aber keinerlei Dekoration, ein sachliches Kredo, das ohne Umwege auf den Punkt kommt. Der heißt Wein, beziehungsweise Kaufmann, und der steht heute hinter dem Tresen und schenkt uns seine Weine ein. Die Hans Lang-Linie überspringt er. Das seien im Prinzip Übergangsweine, um die alte Marke nicht zu rasch verschwinden zu lassen, sagt Kaufmann, den man wegen seiner silberweißen Haare zunächst etwas älter einschätzt, als er tatsächlich ist.

Doch seine Lausbuben-Mimik verrät sein wahres Alter bei näherem Hinsehen dann doch. »Ich möchte einen klaren und präzisen Ausdruck in meinen Weinen«, beschreibt er knapp seinen Stil, den er in den vergangenen drei Jahren konsequent weiterentwickelt hat. Dem Zufall möchte er dabei möglichst wenig überlassen. Kontrollverlust ist ihm eine Pein. Kaufmann und Raps pflegen seit ein paar Jahren ein Austauschprojekt mit einem Weingut in Israel. Ze’ev Dunie betreibt sein Boutique-Weingut »Seahorse« in den Jerusalem Hills auf rund 700 Höhenmetern. Seine Haare sind nicht silberweiß, sondern grau und schulterlang. Besondere Pflege lässt er ihnen offensichtlich nicht zuteilwerden.

Ich möchte einen klaren und präzisen Ausdruck in meinen WeinenUrban Kaufmann

Meine Reben sehen aus wie Kraut und RübenZe’ev Dunie

Dunie ist in allen Belangen der Gegenentwurf zu Urban Kaufmann, der auf die Frage, warum er bei der Weißweinbereitung ausschließlich auf Edelstahl setze, antwortet: »Ich komme aus der Milchwirtschaft, mit Hygiene und Bakterien kenne ich mich aus.« Ein Wein, der etwas von sich aus und außerhalb seiner Kontrolle tue, sei ihm ein Graus. Diese Kontrolle schmeckt man seinen Rieslingen auch an, was gar nichts Schlechtes ist. Im Gegenteil: Es sind präzise Vertreter ihrer Herkunft, stahlig in der Säure und knackig in der Frucht. Ob es ihnen deswegen mitunter etwas an innerer Spannung mangelt, lässt sich noch nicht endgültig beurteilen.

Kaufmanns Karriere als Kellermeister ist jung. Dass das 2014 im kleinen Holzfass gereifte Große Gewächs Spätburgunder Hattenheimer Hassel erstmals unfiltriert abgefüllt wurde und an diesem Abend der aufregendste Wein der Kaufmann-Kollektion war, spricht für die Evolution des jungen Weinmachers. Von den Vorbildern aus der Milch- und Käseproduktion, so wie er sie kennt, wird Kaufmann in den nächsten Jahren womöglich auch etwas ablassen, Kompromisse finden, Erfahrungen machen und seinen Stil weiter verfeinern. Wir werden sehen.

»Gut«, sagt Dunie, »der ursprüngliche Plan sah schon vor, meine Reben ordentlich auf einem Drahtrahmen zu erziehen.« Letztlich sei ihm eine allzu strenge Erziehung aber gegen den Strich gegangen, denn er verstehe sich als Vater seiner Töchter auch als toleranter und verständiger Mensch. Laissez-faire statt strenges Regime. Wie Kraut und Rüben sehen seine Wingerte heute aus, sagt er. Wo Dunie wie ein Hausbesetzer wirkt, fühlt sich Kaufmann im Eigenheim wohl. Über die penible und möglichst überraschungsarme Arbeit eines Urban Kaufmann würde sich Dunie sicher öfter wundern, wenn er ihn einmal einige Tage im Wingert und Keller begleiten würde.

Umgekehrt steht zu vermuten, dass Kaufmann in Dunies Weinkosmos sehr bald wahnsinnig werden und Hals über Kopf flüchten würde. Wenigstens sieht das im Moment so aus. Vielleicht befindet sich da auch gerade ein Best Of zweier Weinwelten in seiner Entstehungsphase. »Twin-Wineries« nennt sich das Projekt, das einige israelische mit deutschen Weingütern auf die Beine gestellt haben. Bei Kaufmann und Seahorse könnten die Unterschiede der Geschwister jedenfalls kaum größer sein. »Jedes Jahr beginne ich das Weinjahr mit einer leeren Seite«, sagt Dunie, »am Ende sind es allein die Trauben, die über den Geschmack des Weins entscheiden.« Ihr Terroir gebe den Weinen ihre eigene Sprache.

Und ja, das mag jetzt plakativ und einfältig klingen, aber letztlich wird es genau jenes Loslassen sein, das Dunies Weine so einmalig und unberechenbar macht. Übliche Gewohnheiten kann man jedenfalls getrost über Bord werfen, wenn seine 2011 Cuvée »Antoine« aus Syrah und Grenache durch ihren enorm reifen, fast rosinierten Charakter am Gaumen mit schockierender Säure und Frische daherkommt. Dunies Weine setzen altbewehrte Gesetzmäßigkeiten mal eben außer Kraft.

Es ist ein spannender, zuweilen auch wirrer Trunk, den er da entstehen lässt. Mit Seahorse und Kaufmann hat sich nicht nur eine ungleiche »Twin Winery« gefunden, selten lassen sich Weltbilder dabei auch so nah beieinander und gleichzeitig so weit voneinander entfernt schmecken. Aus solchen Erfahrungen können neue Früchte wachsen. Aber sie müssen es freilich nicht, wenn gelebte Toleranz in diesen Tagen auch schon eine Menge wert ist.

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