AARON IST DRAN
Im Rotweingut Albrecht Schwegler hat der Sohn Aaron das Ruder übernohmen. Der hat auch bei den Weißen Lunte gerochen
Nun ist also Aaron dran. Etwas über dreißig Jahre alt und voller Tatendrang. Der akademischen Weiterbildung hat er irgendwann entsagt und stattdessen den Weg des Weines eingeschlagen. Der führte ihn zunächst auf die Südinsel Neuseelands, wo er ein Praktikum bei Hermann Seifried absolvierte. Der Österreicher brachte einst Grünen Veltliner, Würzer und Zweigelt ans andere Ende der Welt – und ihm mit Sauvignon Blanc schließlich auch merkantilen Erfolg. Aaron fand zunehmend Geschmack an dieser Arbeit. Vielleicht auch daran, sich als Winzer an Rebsorten zu wagen, die für eine bestimmte Region auf den ersten Blick zunächst einmal ungeeignet erscheinen. Dass die Aussichten für solche Unternehmungen gar nicht einmal schlecht sind, hat ihm sein Vater im württembergischen Remstal ja schon vorgemacht.
Württemberg war bereits damals wenigstens ampelographisch rot
Der hatte Ende der achtziger Jahre Chuzpe genug, seine Wingerte mit Varietäten zu bestocken, die hierzulande weder im Glas noch im Weingarten sonderlich geläufig waren. Albrecht Schwegler pflanzte Cabernet, Zweigelt, Syrah und Merlot zu einer Zeit, als noch niemand daran glaubte, dass solche Sorten hierzulande jemals regelmäßig reif werden, geschweige denn hochwertige Weine hervorbringen würden. Württemberg war zwar bereits damals wenigstens ampelographisch größtenteils rot, doch auf exotische Sperenzien außerhalb von Trollinger, Lemberger und ein bisserl Spätburgunder wollten sich zu diesem Zeitpunkt nur sehr weniger Winzer einlassen. Die, die es taten, vor allem mit Sinn und Verstand, gehören heute zur qualitativen Speerspitze der Region.
Schwegler benannte seine Rotweine nach wertvollen Mineralien: »Beryll«, »Saphir« und »Granat«. In Ausnahmejahrgängen gibt es auch einen »Solitär«, dessen Name weniger den Stein an sich als eine bestimmte Art der Goldschmiedearbeit zitiert. Die Weine besitzen heute Kultstatus und benötigen mindestens sechs bis acht Jahre Flaschenreife, bevor sie ihre erste Genussphase erreichen. Weil das noch immer so ist, erwähnen wir an dieser Stelle einzig den aktuellen 2016er »Beryll«, dessen namensgebendes Mineral recht häufig vorkommt und dementsprechend den Auftakt in der famosen Kollektion von Schweglers großen Cuvées markiert.
Auch beim »Beryll« werden noch einige Jahre der Flaschenreife ins Land ziehen müssen
Bei aller Konzentration und Dichte bleibt die Assemblage aus Zweigelt, Cabernet und Merlot ein wunderbar feinsinniger Wein, dem es guttut, wenn die halbgeleerte Flasche für einige Tage an einem einigermaßen kühlen Ort vergessen wird. Währenddessen raufen sich Gerbstoff, Säure und Frucht wenigstens ansatzweise zusammen. Sie tun es noch nicht gerne, aber immerhin tun sie es. Mit genussbringenden Folgen. Für die richtig dicke Freundschaft werden jedoch auch beim »Beryll« noch einige Jahre der Flaschenreife ins Land ziehen müssen.
Aaron, der Junge mit dem Namen aus dem Alten Testament, machte sich 2006 auf, um das Winzerhandwerk endgültig auf grundsolide Füße zu stellen und wurde in den Weingütern Sven und Bernhard Ellwanger und Joachim Heger 2008 zum waschechten Gesellen. Nebenher lernte er die große Kunst vom Ausbau in kleinen Eichenholzfässern bei Daniel und Martha Gantenbein im schweizerischen Graubünden kennen und besuchte den Kultwinzer Jim Clendenen in Kalifornien nicht nur aus Jux und Tollerei. Aaron wollte es also wissen. Und wir müssen wissen, dass es sich beim Rotweingut seines Vaters anfangs eigentlich um ein Hobby gehandelt hat, das Albrecht Schwegler mit knapp einem haben Hektar in Angriff nahm und seine Gewächse für damals unverschämt hohe Preise auf den Markt brachte. Im Regionalproporz waren die Anteile aus Respekt, übler Nachrede und schlichtem Neid dann folglich auch fair verteilt. Ob er sich darum scherte? Vermutlich nicht. Schwegler ist ein erfolgreicher Unternehmer. Das Weinmachen nebenbei konnte und wollte er sich leisten.
Vom Tüfteln werden sie nicht lassen
Der Hauptsitz seiner Firma LTK (Lineartechnik Korb) liegt in Waiblingen. Auf deren Webseite findet man so lustige Worte wie Gewinderollenschraubtriebe, Planetenwälzgewindetriebe oder Rollenrückführung. Was es mit diesen kryptischen Buchstabenkolonen im Einzelnen auf sich hat, ist mit Maschinenbau-Hardcore-Tüftelei an dieser Stelle ausreichend beschrieben. Sein zweiter Sohn, Ephraim, hat mittlerweile die technische Leitung übernommen. Es wird in diesen Tagen keine leichte Zeit für ihn sein. Die Corona-Krise hat die Branche hart getroffen. Auch das Unternehmen der Schweglers. Dessen Kunden sich erst erholen müssen, bevor sie wieder Wälzlager oder Rillenkugellager bestellen können. Vom Tüfteln wird das Vater-Sohn-Gespann dennoch nicht lassen, denn das fließt ganz offenbar im Blut der Familie.
Auch in Aarons, der 2008 seinen ersten Jahrgang im elterlichen Betrieb bestritt und im darauffolgenden Jahr auch beim Ausbau der Weine ein gehöriges Wörtchen mitzureden hatte. Sein Vater ließ ihn gewähren. Aaron machte Nägeln mit Köpfen und absolvierte seine Ausbildung zum Weinbautechniker in Weinsberg, bevor er sich 2013 voll und ganz dem Weingut hingab. Als »Heimscheißer« bezeichnet er sich selbst – und meint das natürlich nicht ernst. Doch Korb, das kleine Dörfchen im Remstal, wo Aaron aufgewachsen ist, hat er nun zu einer Heimat ohne Wenn und Aber gemacht. In den letzten Jahren hat sich eine Menge getan im Weingut Schwegler. Aus dem akribischen Hobby seines Vaters ist ein veritables Weingut geworden.
Auf rund 12 Hektare ist die Rebfläche mittlerweile angewachsen. Im Umkreis von etwa 20 Kilometern verteilen sich 70 Parzellen auf bis zu 180 Höhenmetern. Aaron kann aus dem Terroir-Vollen schöpfen: Mag der Boden im Remstal auch überwiegend aus Keuper bestehen, ist seine Zusammensetzung aus Kalk, Ton und Sandstein doch mitnichten überall gleich. Zudem ergeben sich aus Ausrichtung und Höhe der Parzellen ebenso unterschiedliche mikroklimatische Bedingungen. Mit dieser Erkenntnis und dem Tüftel-Blut, das durch Aarons Adern fließt, beobachtet er seine Reben sehr genau, bevor ihre Früchte zu Wein werden dürfen. Dass sich die Weinberge der Schweglers mittlerweile in der Umstellungsphase auf eine biologische Bewirtschaftung befinden, darf als obligatorisch angesehen werden.
Er verknüpft die Weine zu einem Gemeinsamen
Die Rede vom Wein, der nach seiner Herkunft schmeckt, ist ja hinlänglich bekannt. Aaron geht dabei in die Extreme und baut jede Parzelle zunächst separat aus. Kamen die Trauben aus einer schattigen Lage, lässt er sie vergleichsweise kühl vergären, war ihre Herkunft warm, womöglich sogar heiß, bevorzugt der Sohn mit den Genen seines Vaters bei der Weinwerdung entsprechend höhere Temperaturen. Am Ende eines Jahrgangs bekommt er es mit einer Weinvielfalt von fast Molitor’schem Ausmaßes zu tun. Natürlich hinkt der Vergleich. Aaron bewirtschaftet nur einen Bruchteil der Rebfläche des Weltklasse-Winzers von der Mosel. Molitors Portfolio ist ebenso unübersichtlich wie spektakulär, auch deshalb, weil viele seiner Rieslinge Einzelfassabzüge sind. Aaron verknüpft die Weine aus verschiedenen Parzellen und Fässern zu einem Gemeinsamen.
Es hat ihn in die Wein-Tüftel-Welt verschlagen. Und so verrückt das auch klingen mag. Es gibt Parallelen zwischen dem Maschinenbau seines Bruders und Aarons Weinbau. Beide kennen die Grundlagen der Herstellung ganz genau, sind aber genial genug, um aus gelernten Blaupausen neue Ideen zu entwickeln und darüber hinaus zu denken. Am Ende kommt das dem Interessenten für eine bestimmte Spindel genauso zugute wie dem Wein-Aficionado auf seiner Suche nach dem besten Gewächs. Sein erstes Ausrufezeichen setzte Aaron mit einem Wein, den er »Rock’n’Roll« nannte. Es war nicht nur der erste Weißwein, den das Weingut je erzeugte, sondern zugleich ein sehr mutiger. Aaron paarte in Eichenholz vergorenen Riesling und Grauburgunder zu einem reduktionsgeladenen Wein aus Streichholz- und Toastwürze nebst pikanter Frucht und cremig-mineralischer Textur. Im Kontext der noch jungen Geschichte des Weinguts war das ein Meilenstein.
Es dürfte also noch einiges Gutes auf uns zukommen
Als Pendant zu diesem Wein, der mittlerweile aus dem Portfolio gestrichen wurde, darf tatsächlich ein reiner Riesling gelten. Der aktuelle 2018er »Alte Reben« wartet mit rauchigen Reduktionsnoten und straffer Gelbfrucht in der Nase auf, bevor er am Gaumen mit feiner Säure und cremig anmutender Frucht kontert. Ein grandioses Erlebnis – und vielleicht sogar einer der besten Weißweine, dem Aaron als Weißweinmacher bisher gelungen ist. Es dürfte also noch einiges Gutes auf uns zukommen. Und es muss unbedingt erwähnt werden, dass bei Schweglers allergrößter Wert auf die Alltagsweine gelegt wird. Dabei ist einer der seit jeher besten deutschen Rotweinen im Liter, »d’r Oifache«, mit der aktuellen Cuvée aus Trollinger, etwas Regent und kleinen Anteilen von Lemberger und Zweigelt nochmals feiner geworden.
Ob es Aaron Schwegler allen recht machen will?
War er früher ein wunderbar zünftig-würziger Trunk, besitzt er nun weitere feinfruchtige Facetten und einen Anspruch, den selbst ein anspruchsvoller Pinot-Liebhaber sicherlich zu schätzen weiß. Zuletzt, wobei das ganz sicher erst der Anfang einer Weinbaugeschichte ist, sei Aarons Rosé all denjenigen empfohlen, die Frucht und Frische in diesen Weinen zwar goutieren, aber gegen Würze und Gerbstoffe ebenso wenig auszusetzen haben. Bis zu 16 Tagen ließ Aaron die Trauben auf der Maische stehen, woraus sich auch seine vergleichsweise dunkle Farbe erklären lässt. Trolliner, etwas Spätburgunder und kleine Anteile aus Syrah, Lemberger und Muskattrollinger ließ er in gebrauchten kleinen Eichenholzfässern zu einem unvergleichlich süffigen wie pikanten Trunk vergären. Ob es Aaron Schwegler allen recht machen will? Gewiss. Und zwar all jenen, die Geschmack bekommen haben am deutschen Wein mit Charakter.